Am späten Nachmittag des 31. Juli 1981 traten der Postenführer Klaus-Peter Braun und der Sicherungsposten Roland Höhne einen zwölfstündigen Dienst in der Führungsstelle der Grenzkompanie Rustenfelde an. Diese war in einem zwölf Quadratmeter großen Raum in der zweiten Etage eines Beobachtungsturmes eingerichtet, das Inventar umfasste zwei Tische mit Wechselsprechanlagen und Halterungen für Maschinenpistolen, zwei Stühle, ein Kartenbrett, vor den Fenstern schwarze Verdunklungsvorhänge. Gegen 22.35 Uhr besuchten ein Unteroffizier und der Gefreite einer Alarmgruppe die Führungsstelle. Möglicherweise spielten sie Skat, bis eine Stunde später die Signalanlage ausgelöst wurde. Diesen Alarm mussten die beiden Männer vor Ort überprüfen. Als sie den Raum verließen, saß Klaus-Peter Braun an seinem Arbeitsplatz. Er hatte sich die Hemdsärmel hochgekrempelt, noch in der Nacht litt man in dem engen Raum unter der Sommerhitze. Roland Höhne stand am geöffneten Fenster.
Der Sicherungsposten Höhne war erst einen Monat zuvor in die Grenzkompanie gekommen. Die NVA hatte den 24-jährigen Wehrdienstleistenden, der von Beruf Schlosser war, zum Militärkraftfahrer und Funker ausgebildet. Später, im Aufnahmelager Gießen, sagte er aus, dass er in der Hoffnung, eine günstige Gelegenheit zur Flucht zu finden, Grenzsoldat geworden sei. Er sei mit den Verhältnissen in der DDR unzufrieden gewesen.
Klaus-Peter Braun war dagegen freiwillig eine Dienstverpflichtung bei den Grenztruppen der DDR eingegangen, weil er Berufsoffizier werden wollte. Der Arbeitersohn hatte den Beruf eines Bergbautechnologen im VEB Kaliwerk „Karl Liebknecht“ in Bleicherode erlernt. Zuletzt saß er dort am Steuer von großen Ladefahrzeugen. In der Freizeit trieb er Leichtathletik und Wehrsport. Er gehörte zur örtlichen Jagdgesellschaft und zu deren Jagdbläsergruppe sowie zum FDJ-Singeclub in Bleicherode. Da er keine Verwandtschaft in der Bundesrepublik hatte und von mehreren Seiten als zuverlässig und hilfsbereit eingeschätzt wurde, galt er als überaus geeignet für eine militärische Laufbahn, zu der er am 1. November 1977 einberufen wurde. Nachdem er erfolgreich einen Unteroffizierslehrgang in Perleberg absolviert hatte, versetzte ihn die NVA zum Grenzregiment 4 nach Heiligenstadt. Zwei Jahre lang erfüllte er als Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) auch inoffiziell Aufträge für das Ministerium für Staatssicherheit. Er sollte der Stasi-Hauptabteilung I bei der Aufdeckung und Verhinderung von Fahnenfluchten helfen. Doch „operativ bedeutsame Informationen und Sachverhalte wurden durch ihn nicht erarbeitet“, heißt es 1980 in einer abschließenden Einschätzung, „und es erfolgte kein Einsatz zur direkten Bearbeitung von Personen“. Klaus-Peter Braun war inzwischen in die SED eingetreten und zum Feldwebel befördert worden. Seinen Dienst verrichtete er als stellvertretender Zugführer und Grenzaufklärer in der Grenzkompanie Rustenfelde.
Als in der Nacht vom 31. Juli zum 1. August 1981 die Angehörigen der Alarmgruppe die Signalanlage überprüft hatten und um 0.45 Uhr über die Wechselsprechanlage wieder Kontakt mit dem Postenführer im Wachturm aufnehmen wollten, erhielten sie keine Antwort. Da auch weitere Anrufversuche erfolglos blieben, entschloss sich Unteroffizier B. schließlich, die Führungsstelle selbst aufzusuchen. Er betrat, vom Gefreiten K. begleitet, den Raum, schaltete die Neonbeleuchtung an, sah einen umgestürzten Stuhl, das offene Fenster und dann Klaus-Peter Braun, der auf dem Fußboden lag. Um ihn herum hatte sich eine Blutlache ausgebreitet. Der Gefreite ergriff den umgestürzten Stuhl und musste sich setzen. Der Sicherungsposten Roland Höhne hatte die Flucht ergriffen und befand sich zu dieser Zeit schon auf der anderen Seite der Grenze, wo er in Lichtenhagen von BGS-Beamten aufgenommen wurde.
Die Beweiserhebung vor dem Militärgericht in Leipzig stieß auf Schwierigkeiten. Eine Auslieferung von Roland Höhne an die DDR-Justiz verweigerte die westliche Seite, da der Beschuldigte in der DDR kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten hätte. Aber auch die Tatwaffe wurde nicht zur Verfügung gestellt. Im Vorfeld der Militärgerichtsverhandlung kam es zwischen Gerichtsmedizinern aus Jena und Berlin sowie dem Kriminalistischen Institut der Deutschen Volkspolizei zu einer Kontroverse über die Beurteilung der Schussentfernung. Der Berliner Gerichtsmediziner Dr. Georg Radam (Humboldt Universität), ein Vertrauensmann des MfS, schrieb in seinem Gegengutachten: „Die vom Kriminalistischen Institut der Deutschen Volkspolizei getroffenen Aussagen zu den Schußentfernungen werden durch den Inhalt des Gutachtens selbst so weit abgeschwächt, daß sie praktisch zurückgenommen werden.“ Das Beweismaterial müsse einer erneuten gründlichen Sichtung und Untersuchung zur Eingrenzung der Schussentfernung unterzogen werden. Man einigte sich schließlich auf ein gemeinsames Gutachten, das die „strafprozessualen Möglichkeiten und die Beweisrichtlinie“ des Gerichts beachten sollte. Demnach sei Klaus-Peter Braun in sitzender Haltung aus einer Entfernung von mindestens 50 Zentimetern von drei Projektilen getroffen worden. Roland Höhne habe die Schüsse stehend und als Einzelfeuer aus seiner Maschinenpistole abgegeben. Das Militärobergericht Leipzig ging in seiner Urteilsfindung von einer vorsätzlichen Tötung aus und verurteilte Roland Höhne in Abwesenheit am 23. Juli 1982 zu einer lebenslangen Haftstrafe.
Die Staatsanwaltschaft Göttingen zweifelte die Folgerungen des Leipziger Militärgerichts an und erhob im März 1983 vor dem Göttinger Landgericht Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Sie bezog sich dabei weitgehend auf die Aussagen des Beschuldigten. Ihr lagen aber auch die vom Generalstaatsanwalt der DDR übermittelten Tatortbefundberichte, das Gutachten über die Todesursache, Zeugenaussagen und das Protokoll der Leichenöffnung aus Jena vor. Nach Höhnes Aussage habe er Klaus-Peter Braun in der Tatnacht mit vorgehaltener entsicherter Waffe zwingen wollen, sich in einen anderen Raum des Beobachtungsturmes einschließen zu lassen, um unbehelligt fliehen zu können. Braun habe jedoch blitzschnell die auf ihn gerichtete Waffe mit beiden Händen am vorderen Ende des Laufes ergriffen. Bei dem nun folgenden Gerangel um die Waffe will Höhne zurückgewichen sein und versehentlich den Abzug der auf Dauerfeuer gestellten Waffe betätigt haben. Ohne sich weiter um den Verletzten zu kümmern, habe er sich anschließend auf einem bereits geplanten Fluchtweg nach Niedersachsen abgesetzt. Das Landgericht Göttingen entschied im Sinne der Anklage und verurteilte Roland Höhne am 3. August 1983 wegen fahrlässiger Tötung zu einer einjährigen Haftstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurde, sowie zu einer Geldstrafe von 1 000 DM. Er habe rechtswidrig gehandelt, weil die Freizügigkeit nicht höher zu werten sei als das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit des Lebens. Die Tat des Angeklagten wäre jedoch auch nicht denkbar gewesen, hätte in der DDR das Recht auf Freizügigkeit gegolten. Der Göttinger Prozess fand in westdeutschen Medien große Beachtung.
Die NVA beförderte Klaus-Peter Braun postum zum Fähnrich und ehrte ihn als „Opfer bewaffneter Anschläge an der Staatsgrenze“. In Bleicherode wurde er mit militärischen Ehren zu Grabe getragen. Der 1. Sekretär der Nordhausener SED-Kreisleitung verpflichtete in seiner Trauerrede die Grenzsoldaten „getreu dem Vermächtnis von Fähnrich Klaus-Peter Braun die sozialistischen Errungenschaften vor allen Anschlägen mutig und wachsam zu beschützen“. Die Grenzkompanie Rustenfelde pflanzte für ihn einen Ehrenhain an, eine Oberschule in Günterode und ein Kulturhaus in Arenshausen trugen seinen Namen.