Die 30-jährige Anneliese Marie Martha Walter lebte mit ihrem Ehemann, dem Maschinenschlosser Alfred Hermann Gustav Walter, und der gemeinsamen Tochter in Westerhausen, das heute ein Ortsteil von Thale ist. Alfred Walter hatte dort nach dem Krieg als Gleisbauarbeiter bei der Deutschen Reichsbahn Arbeit gefunden.
Bevor die Grenzüberwachung 1952 verstärkt wurde, erlaubte die Nähe zu Niedersachsen den Harzbewohnern noch Familienbesuche und Einkäufe in der Bundesrepublik. Um nicht in die Kontrollen der DDR-Grenzpolizei zu geraten, mussten die Wege dorthin jedoch in der Dunkelheit zurückgelegt werden. In der Nacht vom 26. zum 27. Oktober 1950 machte sich Anneliese Walter auf den Weg in das gut 40 Kilometer entfernt liegende Vienenburg.
Die Rückkehr trat sie am 28. Oktober in den frühen Morgenstunden an. Die Temperaturen sanken auf den Gefrierpunkt, der Boden war schneebedeckt. Diesmal hatte sie sich vier weiteren Grenzgängern angeschlossen, mit denen sie gegen 4 Uhr nahe der stillgelegten Bahnstrecke nach Wasserleben die Grenze passierte. Hinter sich konnten sie noch die Lichter von Vienenburg sehen. Als ihnen wenige Augenblicke später von zwei Posten der DDR-Grenzpolizei aus etwa 200 Metern Entfernung zugerufen wurde, sie sollten stehenbleiben, und kurz darauf ein Warnschuss krachte, versuchten sie, wieder über die Grenze in den Westen zurückzulaufen.
Die Grenzpolizisten Oberwachtmeister Manfred S. und Wachtmeister Franz M. hatten kurz zuvor eine Gruppe von neun Grenzgängern gestellt. Nun zeichneten sich im Schnee fünf weitere Personen ab, die die Grenze überquert haben mussten. Um ihre Flucht zu stoppen, gab Manfred S. einen gezielten Schuss auf die Gruppe ab. Das Geschoss verletzte zunächst Frieda Leuschner aus Quedlinburg und traf dann die hinter ihr gehende Anneliese Walter in den Bauch. Beide Frauen stürzten zu Boden, ihre Wunden bluteten stark. Manfred S. lief zur Kommandantur Lüttgenrode, um Meldung zu erstatten und einen Krankenwagen anzufordern. Während Wachtmeister M. Erste Hilfe leistete, nutzten die bereits gestellten Grenzgänger die Gelegenheit und ergriffen die Flucht. Nach 4.30 Uhr brachte ein Krankenwagen Anneliese Walter und Frieda Leuschner in das Krankenhaus Osterwieck. Frau Walter starb noch am gleichen Tag um 9.15 Uhr. Frieda Leuschner musste noch vier Wochen im Krankenhaus bleiben, bis ihre Verletzung, ein Hüftdurchschuss, verheilt war. Sie sagte 1992 gegenüber den Ermittlern der ZERV aus, dass sie weder einen „Halt“-Ruf der Grenzpolizisten noch einen Warnschuss gehört habe.
Zwei Monate nach dem Tod seiner Ehefrau wandte sich Alfred Walter mit einem Brief an den Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck und bat um finanzielle Unterstützung. „Leider ist es mir unmöglich die Bestattungskosten zu tragen, denn ich selber kann mir diese Ausgaben nicht erlauben, zumal ich bei der Reichsbahn als Gleisbauarbeiter beschäftigt bin und noch meine Tochter zu ernähren habe.“ Zu dieser Zeit untersuchte die Mordkommission der Magdeburger Volkspolizei noch den Vorfall. Da die Mordkommission dem Schützen kein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten vorwerfen konnte, stellte die Staatsanwaltschaft Magdeburg am 8. Februar 1951 das Strafverfahren gegen Manfred S. wieder ein. Auf der Grundlage dieses Beschlusses lehnte die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei am 16. April 1951 die von Alfred Walter erbetene Unterstützung ab. Sie teilte dem Witwer mit, „daß die Grenzpolizisten in Ausübung ihres Dienstes rechtmäßig handelten und die Schuld einwandfrei auf Seiten Ihrer Frau liegt“.
Alfred Walter starb im Februar 1989 in Quedlinburg. Als 1993 der Schütze als Beschuldigter von der Polizei vernommen wurde, beteuerte Manfred S., nur einen Warnschuss abgegeben zu haben, und zeigte sich überrascht, dass aufgrund seines Schusswaffengebrauchs eine Frau getötet und eine weitere schwer verletzt worden war.