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Biografisches Handbuch

Gerhard Oelze

geboren am 26. Juni 1920 in Magdeburg | erschossen am 27. Oktober 1950 | Ort des Vorfalls: Walbeck, nahe Schwanefeld (Sachsen-Anhalt)
Um Ersatzteile für ihre Fahrräder zu besorgen, überquerten Gerhard Oelze und sein Freund Gerhard Zöffzig des Öfteren die innerdeutsche Grenze. Ende Oktober 1950, auf dem Rückweg von West nach Ost fielen Schüsse auf der DDR-Seite, die den 30-jährigen Gerhard Oelze tödlich verletzten.

In der Mittagszeit des 27. Oktober 1950 traten die beiden Radsportler Gerhard Oelze und Gerhard Zöffzig ihren Rückweg über die Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen an. Schon oft waren sie im Westen, um dem Radrennsport nachzugehen und an Radrennen teilzunehmen. Diesmal wollten sie allerdings nur Ersatzteile für ihre Räder und ein paar Lebensmittel besorgen. Nach erfolgreichen Einkäufen hatten sie ihre Rucksäcke vollgepackt und ihre Fahrräder mit Kisten beladen. Ein reger Schmuggelverkehr über die grüne Grenze gehörte zur damaligen Normalität. Die sowjetischen und deutschen Grenzposten ignorierten lange die „illegalen“ Grenzgänger oder sprachen allenfalls geringe Strafen aus. Diese Situation änderte sich jedoch nach der DDR-Gründung, die früher geduldeten Grenzübertritte wurden zunehmend riskanter. Auf der Westseite begegneten die Radfahrer einem Posten, der sie darauf hinwies, dass auf ostdeutscher Seite neue, möglicherweise strenger kontrollierende Grenzposten ihren Dienst aufgenommen hätten. Nach diesem Hinweis stiegen die jungen Männer von ihren Rädern und schoben sie entlang des Feldweges in Richtung Beendorf. Nachdem sie ein Waldstück durchquert hatten, beobachteten sie die Gegend und hielten Ausschau nach Grenzposten.

Gegen 13.30 Uhr entdeckten die Grenzpolizisten des Kommandos Walbeck die beiden Radfahrer und forderten sie auf stehenzubleiben. Da sie dem nicht Folge leisteten, gaben die Grenzer mehrere Warnschüsse ab. Daraufhin schwangen sich die beiden Radfahrer wieder auf ihre Sättel und fuhren entlang eines schmalen Feldweges in Richtung Beendorf. Berichten der Volkspolizei zufolge erhöhten die beiden ihre Geschwindigkeit und versuchten, „in wilder Flucht“ zu entkommen. Die Grenzpolizisten eilten ihnen zu Fuß hinterher und gaben weitere Warnschüsse ab.

Bei einer Vernehmung in den 1990er Jahren verwies einer der damals beteiligten Posten auf die „Instruktionen für die Grenzpolizeiorgane zum Schutz der Grenze und der Demarkationslinie der SBZ Deutschlands“. Er habe gemäß der Schusswaffengebrauchsbestimmung gehandelt. Da auf dem Nachbarabschnitt der Grenze keine weiteren Grenzstreifen auftauchten, habe er aus etwa 450 Metern Entfernung einen gezielten Schuss „ohne Visiereinstellung etwa einen Meter vor das Vorderrad des vorausfahrenden“ Gerhard Oelze abgegeben. Dabei habe er darauf vertraut, „den Radfahrer jedenfalls aus dieser Entfernung nicht mehr tödlich zu treffen“. Die Kugel traf jedoch. Von hinten getroffen stürzte der 24-jährige Gerhard Oelze vom Rad und blieb bewegungslos liegen. Gerhard Zöffzig fuhr weiter und entkam. Einer der Grenzpolizisten kümmerte sich um den Verletzten, während der andere einen Arzt aus Beendorf herbeiholte. Gerhard Oelze erlag noch am Unglücksort seinen schweren Verletzungen. Als der Arzt nach 20 Minuten eintraf, stellte er fest, dass Gerhard Oelze an inneren Verletzungen verblutet war. Man brachte den Toten nach Beendorf in die Leichenhalle des Friedhofs. Am 2. November 1950 gaben ihm seine Angehörigen und Freunde auf dem Magdeburger Westfriedhof das letzte Geleit. Der Radsportler hinterließ seine Verlobte. Seine Mutter reichte wiederholt eine Todesanzeige für ihren Sohn ein. Sie erhielt die Anzeige jedoch mehrfach zurück, das Wort „Grenze“ sollte im Text nicht auftauchen.

Das Landgericht Magdeburg sprach den Todesschützen am 25. Januar 1995 frei. In der Begründung des Freispruches hieß es, für den damals 19-jährigen Volkspolizei Wachtmeister Josef K., der erst seit einigen Monaten an der innerdeutschen Grenze seinen Dienst verrichtete, entfalle zwar grundsätzlich die rechtfertigende Wirkung der damals gültigen Schusswaffengebrauchsbestimmung. Jedoch habe eine objektiv erkennbare Gefahrenlage vorgelegen, weil sich die beiden Radfahrer anders verhalten hätten als die übrigen Grenzgänger. Da sie sich von West nach Ost bewegten, habe ihr Verhalten bei den Grenzpolizisten die begründete Vermutung ausgelöst, „dass ihre Flucht auch anders hätte motiviert sein können. Insoweit stehen der rechtfertigenden Wirkung der Schusswaffengebrauchsbestimmung für diesen konkreten Fall keine durchgreifenden Bedenken entgegen“. Es liege jedoch eine „fahrlässige Tötung im Rahmen der Grenzsicherung“ vor.


Biografie von Gerhard Oelze, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/25-gerhard-oelze/, Letzter Zugriff: 19.04.2024