Am 3. August 1981 zeigte das Kino Capitol in Leipzig „Piraten des 20. Jahrhunderts“ – einen damals sehr populären Actionfilm aus der Sowjetunion, für den das Publikum zuweilen in langen Schlangen vor den Kinos stand. Unter den Zuschauern der Nachmittagsvorstellung verfolgten auch André Bauer, Tino Loeber und René Seiptius die Abenteuer auf hoher See und tropischen Inseln. Die 16- und 17-jährigen Jugendlichen waren miteinander befreundet, kannten sich von der Schule und vom Fußball und wohnten nur wenige Häuser voneinander entfernt im Leipziger Stadtteil Marienbrunn. André Bauer hatte die Schule bereits verlassen und war Transporthelfer beim Städtischen Theater Leipzig. Als sie nach dem Kinobesuch auf die Straßenbahn warteten, sprachen sie darüber, wie es möglich wäre, aus der DDR in die Bundesrepublik zu gelangen und die Welt kennenzulernen. „Es war nichts Politisches, wir hatten als Jugendliche ja keinen Durchblick. Wir wollten einfach abhauen“, erinnerte sich René Seiptius 2012 in einem Gespräch mit dem NDR. Bereits am nächsten Tag studierten sie in ihrem Schulatlas den Verlauf der innerdeutschen Grenze und befanden den nicht allzu weit entfernten Harz mit seinen dichten Wäldern am geeignetsten für einen Durchbruch. Weil die Grenze vermint war, wie sie es aus dem West-Fernsehen erfahren hatten, wollten sie auf kleine Bodenerhebungen achten und eine Gasse im Minenfeld suchen.
Am 5. August fuhren sie mit der Bahn von Leipzig nach Halle. Mal trampend, mal wandernd gelangten sie anschließend bis Mansfeld. Nachts wickelten sie sich in Wolldecken und schliefen im Freien. Hasselfelde im Harz erreichten sie am nächsten Tag. Nach Einbruch der Dunkelheit gingen sie, ausgerüstet mit Kompass, Landkarte und Fernglas, querfeldein in Richtung Westen. Bei Tanne/Oberharz betraten sie das Sperrgebiet. Am Morgen des 7. August 1981 standen sie vor dem Ortseingangsschild von Sorge – von hier aus war die Grenze nur noch gut zwei Kilometer entfernt. Erst im Schutz des Waldes, dann eine Betonröhre durchkriechend, durch die ein Zufluss der Bode strömte, gelangten sie schließlich an den äußeren Grenzzaun. Weil der nahe gelegene Postenturm nicht besetzt war, nutzten sie die Chance, die Grenzanlagen zu überklettern. Ein etwa drei Meter hohes, zweiflügliges Eisentor auf der Straße, die vor der Teilung nach Braunlage führte, versprach genügend Halt, um hinübersteigen zu können.
Zwar warnten Schilder vor den Minen, doch die drei Jugendlichen rechneten nicht mit Selbstschussanlagen. Sie wussten nicht, welche Funktion die dünnen Drähte hatten, die vor dem Tor und dem Zaun aus Streckmetall gespannt waren und in unscheinbaren Kästen endeten. Sie zwängten sich in die Lücke zwischen Tor und Signaldrähten, die in Knie- und Kopfhöhe und ein weiteres Mal oben am Zaun entlangliefen. Während Tino Loeber auf der linken Seite des Tores hinaufkletterte, half André Bauer seinem Freund René, sich am rechten Pfosten hochzuziehen. Dabei lösten sie gegen 7.35 Uhr mehrere Selbstschussanlagen (SM-70) aus. Die Wucht, mit der die scharfkantigen Metallsplitter durch die Luft flogen, schleuderte sie zu Boden. André Bauer erlitt eine schwere Kopfverletzung. Ein Splitter hatte die Hirnschlagader zerrissen. Er blutete stark und wimmerte vor Schmerzen. René Seiptius war von mehreren Splittern am rechten Bein verletzt worden. Einige Minuten vergingen, bis die ersten Grenzsoldaten eintrafen. Tino Loeber, der unverletzt geblieben war, schleppte die Verletzten zu einer Panzersperre. Als nach einer halben Stunde medizinische Hilfe eintraf, war es für André Bauer zu spät – der 17-Jährige verblutete während des Transportes aus dem Grenzgebiet. René Seiptius wurde ins Krankenhaus nach Wernigerode gebracht, wo eine Amputation seines Beines gerade noch abgewendet werden konnte. Ihn und Tino Loeber inhaftierte der Staatssicherheitsdienst mehrere Wochen in einem Untersuchungsgefängnis in Leipzig, dann wurden sie ohne Gerichtsverfahren entlassen. André Bauers Leiche gab die Staatsanwaltschaft zur Feuerbestattung frei.
1999 erhob die Staatsanwaltschaft Magdeburg gegen Wilfried R., Zugführer der in Gardelegen stationierten 25. Pionierkompanie, Anklage. Die unter seinem Befehl installierten Minen töteten Rainer Burgis (1978) und André Bauer, außerdem verletzten sie René Seiptius, Wilfried Senkel und zwei weitere Flüchtlinge schwer. Das Landgericht Stendal betonte jedoch, dass als Täter diejenigen anzusehen seien, welche die Minen aktiviert bzw. deren Aktivierung befohlen haben. Wilfried R. habe bei der bloßen Installation der Anlage nicht mit der Verletzung bzw. der Tötung von Flüchtlingen gerechnet und sei mit dieser auch nicht einverstanden gewesen. Das Gericht sprach ihn im Jahr 2000 vom Vorwurf der Beihilfe zu Totschlag und Körperverletzung frei.