Der sowjetische Wehrpflichtige Andre Kolomoizew diente als Unter-Sergeant bei einer Panzereinheit in Mühlhausen (Thüringen). Während des Wachdienstes am 1. Mai 1981 wurde er bei einem Wachvergehen ertappt. In den frühen Morgenstunden des 3. Mai 1981, gegen 3 Uhr, floh er aus der sowjetischen Kaserne, um sich der drohenden Disziplinarstrafe zu entziehen. Er nahm drei Pistolen, 146 Schuss Munition und ein Bajonett mit. Vor seiner Flucht hatte er Kameraden gegenüber geäußert, dass er nach Westdeutschland flüchten wolle.
Zwei Stunden nach seiner Flucht aus der Kaserne wurde für alle DDR-Bezirke mit Ausnahme von Rostock, Neubrandenburg und Schwerin Eilfahndung der Stufen I und II ausgelöst. In den Fahndungsunterlagen heißt es, Kolomoizew sei Linkshänder, schieße links, sei impulsiv, spontan und intelligent. Er trug bei seiner Flucht die Uniform der Panzertruppe. Die Fahndung blieb zunächst erfolglos. Am 5. Mai 1981 um 14 Uhr ging ein Hinweis ein, wonach sich Kolomoizew in Richtung der Ortschaft Effelder, Kreis Worbis, bewegte. „Einsatzgruppen von Kräften des MfS und der DVP“ blockierten daraufhin die vermutliche Bewegungsrichtung und begannen mit der Suche nach dem Flüchtling.
Eine „Analyse der Fahndung nach dem Angehörigen der Sowjetarmee Kolomoizew und Schlußfolgerungen für die Art und Weise des Einsatzes der Mittel und Kräfte der BV Erfurt bei zukünftigen ähnlichen Einsätzen“, die von MfS-Mitarbeitern aus der Bezirksverwaltung Erfurt verfasst wurde, enthält eine Darstellung der Fahndungsmaßnahmen. Demnach kamen zwei nichtstrukturelle Spezialistengruppen der Bezirksverwaltung „zur Aufklärung, Bearbeitung von Vorkommnissen und für einen eventuellen Blockierungseinsatz bzw. Liquidierung bei bewaffneten Auseinandersetzungen, Geiselnahmen u. ä. durch den Flüchtigen“ zum Einsatz. Darunter befanden sich auch zwei Scharfschützen mit entsprechender Ausrüstung, deren Aufgabe es gewesen sei, den Flüchtigen „zu blockieren und unter besonderer Veranlassung auch niederzukämpfen“.
Am 5. Mai 1981 gegen 15.05 Uhr entdeckte ein Volkspolizeiposten Kolomoizew am Ortsausgang von Effelder. Das MfS behauptete später in seinen Berichten, Kolomoizew habe einen Schuss auf die Einsatzkräfte abgegeben, der aber niemand getroffen habe. Hauptwachtmeister Eckhardt S., Diensthundeführer der Volkspolizei Erfurt, habe daraufhin einen gezielten Schuss aus seiner Maschinenpistole abgegeben, der Andre Kolomoizew in den Kopf traf.
Die Erstmitteilung des MfS-Offiziers Schütze aus dem Lagezentrum der Bezirksverwaltung Erfurt widerspricht allerdings den späteren Darstellungen. Schütze teilte um 17.35 Uhr laut „Lagefilm zum Untersergeanten Kolomoizew“ mit, was sich um 15.05 Uhr am Ortseingang Effelder zugetragen habe. „Ein Posten der VPKA Mühlhausen war auf seinem Weg am Ortseingang Effelder als Streife eingesetzt. Er hörte[,] wie hinter ihm jemand eine Pistole durchlud, ging langsam weiter bis zu einem am Ortseingang stehenden mit MPi bewaffneten Hundeführer der BDVP Erfurt und teilte ihm mit, daß hinter ihm jemand liegen muß, der soeben eine Pistole durchgeladen hat. Als der Hundeführer in diese Richtung blickte, sah er wie der U.-Sergeant aufstand[,] eine Pistole hob und auf die beiden VP-Angehörigen zielte. Er lud sofort seine MPi durch und gab einen oder mehrere Schuß auf den U.-Serg. ab, wobei der U.-Serg. durch Kopfschuß getötet wurde. Der U.-Serg. hat nicht geschossen.“
Schon am nächsten Tag berichtete der Staatssicherheitsdienst, im Ort Effelder und im Kreisgebiet Worbis gebe es „umfangreiche negative Stimmungen zur Art und Weise des Schußwechsels und der tödlichen Verletzung des sowjetischen Soldaten“. Die Nachricht von dem Zwischenfall gelangte auch nach Westdeutschland. Die B.Z. titelte am 13. Mai 1981: „Genickschuß: Vopo tötet sowjetischen Soldaten. Der 19jährige wollte fliehen. Aufgeregte Menge schrie Mörder, Mörder.“ Der Schuss sei aus vier Metern Entfernung auf den Flüchtenden abgegeben worden. Einwohner von Effelder hätten spontan am Ort des Geschehens ein Holzkreuz aufgestellt, das aber von MfS-Leuten sofort entfernt worden sei. In der Berliner Morgenpost heißt es am, 20. Mai 1981: „Unglaublichen Mut vor dem Staatssicherheitsdienst der ‚DDR‘ zeigen die jungen Leute in dem Dorf Effelder bei Mühlhausen, nachdem dort – wie berichtet – ein Angehöriger der ‚Volkspolizei‘ am 5. Mai einen fahnenflüchtigen Sowjetsoldaten meuchlings erschossen hat. Wie der ASD [Axel-Springer-Inlandsdienst] gestern zuverlässig erfuhr, wurde ein an der Sterbestelle angebrachtes zweites Kreuz vom SSD [Staatssicherheitsdienst] entfernt. Dessen ungeachtet legten die jungen Leute des Dorfes immer wieder an der Todesstelle Blumen nieder. Daraufhin stellte der SSD in unmittelbarer Nähe einen Wohnwagen auf, aus dem heraus alle Personen fotografiert wurden, die den Tatort mit Blumen schmückten.“ Laut Meldungen der DDR-Sicherheitsorgane stellten Einwohner des Dorfes am 7. Mai 1981 mehrere provisorische Holzkreuze mit Blumenkränzen an der Stelle auf, an der Andre Kolomoizew erschossen wurde. Am 8. Mai 1981, den die SED seinerzeit als „Tag der Befreiung des deutschen Volkes durch die Sowjetunion“ bezeichnete, nahm nach Berichten der geheimen Stasi-Beobachter „die Personenbewegung am Ereignisort zu“. Am Sonntag, dem 10. Mai, gingen demnach „180 und im Verlauf des 11.05.1981 60 Personen, vorwiegend Einzelpersonen, kleine Gruppen von Kindern und Jugendlichen und zum Teil Erwachsene den Weg am Ereignisort vorbei, welcher zu Grundstücken, zur Mülldeponie, zum Kinderspielplatz und Sportplatz der Gemeinde führt. Ein Teil der vorübergehenden Bürger betete bzw. verweilte am Ereignisort. Von wenigen wurden Feldblumen und Grünpflanzen aus der näheren Umgebung niedergelegt. Trotz eingeleiteter Maßnahmen der politischen Führung kam es in südlichen Gemeinden der Kreise Worbis, Heiligenstadt und in einer Gemeinde im Kreis Mühlhausen zu folgenden Gerüchten:
– Es wurde ein unbewaffneter, ausgehungerter sowjetischer Soldat erschossen.
– Der Soldat war weder aggressiv noch gefährlich, da er vor seiner Liquidierung mit Kindern gespielt hat.
– Der Soldat wäre unbewaffnet gewesen und habe sich mit erhobenen Händen den festnehmenden Kräften stellen wollen.
– Bei dem Erschossenen handelt es sich um einen hohen Offizier, der mit Geheimdokumenten in die BRD flüchten wollte.
– Der VP-Angehörige habe zuerst geschossen.
– Ob es notwendig gewesen wäre, daß ein ,Deutscher‘ einen ,Russen‘ erschießen mußte.
– Das Vorkommnis würde nicht zur Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft beitragen.“
Die Staatsanwaltschaft Erfurt billigte Eckehard S. zu, den tödlichen Schuss in Notwehr abgegeben zu haben und stellte das Ermittlungsverfahren gegen ihn im September 1997 ein.