Jürgen Fuchs war das Jüngste von vier Geschwistern. Nach seinem ersten Fluchtversuch im Sommer 1963 sperrte man ihn mehrere Monate im Jugendwerkhof Gotha ein. Hernach erlernte er den Beruf des Glasdruckers. Jürgen Fuchs versuchte es im April 1965 erneut und scheiterte. Nach acht Monaten Haft kam er im Februar 1966 auf Bewährung wieder frei. Ein jugendlicher Stasi-Spitzel aus seinem Freundeskreis verriet im Herbst 1966 dem MfS, dass Jürgen Fuchs und einige aus seinem Freundeskreis weiter Fluchtpläne schmiedeten. Tatsächlich unternahm Jürgen Fuchs gemeinsam mit einem Freund im Grenzgebiet bei Hasenthal 1967 zum dritten Mal einen Fluchtversuch, der misslang und ihn ein weiteres Mal für zehn Monate ins Gefängnis brachte.
Als im Juni 1976 nach kurzer schwerer Krankheit seine Mutter starb, verweigerte die DDR seinem in Westdeutschland lebenden Bruder die Einreise zur Beisetzung. Daraufhin stellte Jürgen Fuchs einen Ausreiseantrag. Darin berief er sich auf Erich Honeckers Rede auf dem 8. Parteitag der SED, in der dieser versprach, die Partei werde „Erscheinungen von Herzlosigkeit und Bürokratismus – wo immer sie auch auftreten – entschieden bekämpfen“. Mit der Weigerung der Behörden, seinen Bruder Bernd zur Beerdigung der Mutter in die DDR einreisen zu lassen, seien „all die guten Vorsätze, die ich mir für die Zukunft gestellt habe“ durch die „so unmenschlichen und unmoralischen Verhaltensweisen von Seiten der staatlichen Behörde nun völlig zerstört“. Am 16. Juli 1976 suchte Jürgen Fuchs die Lokalredaktion der SED-Bezirkszeitung Freie Erde auf und bat um die Veröffentlichung eines Artikels, in dem er die gegen seinen Bruder verhängte Einreisesperre kritisierte. Man verwies ihn des Hauses und informierte den Staatssicherheitsdienst. Dessen Kreisdienststelle Neustrelitz überwachte Fuchs seit Mai 1976 in einer „Operativen Personenkontrolle“ (OPK). Aus abgefangenen Briefen und durch den Verrat einer Freundin wusste die Stasi, dass Fuchs zur Flucht aus der DDR entschlossen war, falls sein Ausreiseantrag abgelehnt würde. Nachdem man ihn fast zwei Monate im Ungewissen ließ, schrieb Fuchs an die Autoren des ZDF-Magazins und bat um Unterstützung. Aus Protest gegen die Behördenschikanen verweigerte er am 17. Oktober 1976 die Stimmabgabe zur Volkskammerwahl. Als ihm Anfang November 1976 die Ablehnung seines Ausreiseantrages zuging, stellte er umgehend einen erneuten Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik. Am 7. Dezember 1976 erschien Jürgen Fuchs in der Neustrelitzer Behörde für das „Paß- und Meldewesen“ und erklärte in erregtem Ton, er wolle nun „sich selbst die Staatsbürgerschaft der DDR aberkennen“ und alle seinen Personalunterlagen zurückgeben. Es gelang dann den Behördenmitarbeitern offenbar, Fuchs zu beruhigen und auf die weitere Bearbeitung seines Übersiedlungsantrages zu vertrösten.
In der Kreisdienststelle Neustrelitz des Staatssicherheitsdienstes kam man unterdessen auf die Idee, Jürgen Fuchs als inoffiziellen Mitarbeiter zu werben. Er sollte die mit ihm befreundeten „negativen Personen“ und Ausreiseantragsteller bespitzeln. Weil man ihm offenbar versprach, dies könne seinem Ausreiseanliegen förderlich sein, unterschrieb Fuchs eine Schweigeverpflichtung. Das MfS führte ihn nun als inoffiziellen Mitarbeiter im Vorlauf (IMV) mit Decknamen „Siegfried Jacob“. Doch er lieferte der Stasi keine Informationen. Allerdings führten die Bedrängung durch den Staatssicherheitsdienst und die Aussichtslosigkeit, doch noch mit offizieller Genehmigung aus dem Land zu kommen, im Herbst 1977 bei Jürgen Fuchs zu dem verzweifelten Entschluss, erneut eine Flucht über die innerdeutsche Grenze zu wagen.
Der Leiter der HO-Gaststätte in Wesenberg übergab am 30. November 1977 dem Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei eine brisante Postkarte. Sie trug den Poststempel vom 3. November und zeigte ein Motiv von Bad Lobenstein. Der Absender, Jürgen Fuchs, hatte bis zum 2. November 1977 in dem Wesenberger Wirtshaus „Goldene Kugel“ als Kellner gearbeitet. Dann verschwand er spurlos.
Die Postkarte an das Kollektiv der „Goldenen Kugel“ enthielt folgenden Abschiedsgruß: „Meine Lieben! Nur noch 9 km trennen mich von der BRD. Ich habe keine Angst, obwohl es schwierig für mich wird. Ich will Freiheit und nicht hinter Stacheldraht und Mauern leben, niemals!! Ich hasse diesen Staat und liebe Euch.“ Die Fahndungsmeldung der MfS-Bezirksverwaltung Neubrandenburg beschreibt den Kellner Jürgen Fuchs als einen ca. 1,65 Meter großen Mann mit dunkelblondem Haar, der zuletzt eine blaugraue Felljacke, einen grauen Anzug und ein schwarzes Hemd mit gelbem Schlips trug.
Die Fahndung nach Jürgen Fuchs blieb ergebnislos. Die Ermittler spürten bei Vernehmungen in seinem Freundeskreis drei weitere Postkarten aus Bad Lobenstein auf. Einer Freundin hatte er geschrieben: „Ich habe Tränen in den Augen, es ist mehr als Schmerzen. Vergiß mich nicht, ich tue es auch nicht. Nur noch 9 km und ich habe es geschafft. Wenn auch nicht, ich werde niemals aufgeben. Höre die Nachrichten gut. Ich vergeß Dich nie!“
Am Morgen des 4. November 1977 ging beim Kommando der Grenztruppen in Peetz ein Fernschreiben des Grenzregiments 10 mit der Meldung ein, um 0.15 Uhr habe ein „Grenzverletzer“ bei starkem Regen und Sturm den Grenzzaun südwestlich der Ortsverbindungsstraße bei Hirschberg zwischen Göritz und Sparnberg überwunden, indem er sich an einem Abweiser hochzog und durch die Drähte stieg. Dabei berührte er den Signalzaun und löste Grenzalarm aus. Nahe der Grenzkontrollstelle Hirschberg überstieg er den letzten Grenzzaun und begab sich zum Ufer der Saale. Mehrere Grenzsoldaten, die auf der Suche nach dem Flüchtling am Grenzzaun seinen Kompass entdeckten, hörten um 4.05 Uhr Hilferufe aus der Saale. Der Fluss führte bei einer Strömungsgeschwindigkeit von drei bis fünf Meter pro Sekunde Hochwasser. Eine weitere Grenztruppenmeldung vom Nachmittag des 4. November 1977 enthielt die Mitteilung, dass offenbar keine Person im Westen angekommen sei und die Möglichkeit bestehe, „daß der Grenzverletzer beim Versuch die Saale zu überwinden, ertrunken ist“.
Am 5. Juli 1978 fand man am Ufer des Bleilochstausees eine stark skelettierte Leiche. Die Untersuchung des Gerichtsmedizinischen Instituts Jena ergab, dass es sich um die sterblichen Überreste von Jürgen Fuchs handelte.