Beamte der Befragungsstelle Helmstedt des niedersächsischen Innenministeriums übermittelten am 8. April 1972 die Aussage des in der Nacht zuvor aus der DDR geflüchteten Transportarbeiters Siegfried K. (22) an das Lagezentrum des Bundesinnenministeriums. Gemeinsam mit seiner Verlobten Heidi Schapitz und seinem Arbeitskollegen Gunnar J. war Siegfried K. am Vorabend von Magdeburg aus mit dem Zug nach Oebisfelde gefahren, um nahe der Ortschaft über die Grenze nach Westdeutschland zu flüchten. Gunnar J. und Siegfried K. arbeiteten im Reichsbahnausbesserungswerk Magdeburg, die gerade 16-jährige Heidi Schapitz war Schlosserlehrling im VEB Traktorenwerk. In einer Beurteilung des Betriebes heißt es über sie: „In ihrer Berufsgruppe war sie führend, sie war pünktlich und hat nicht gebummelt.“ Die 16-Jährige trug ihre langen Haare schwarz gefärbt. Sie lebte gemeinsam mit ihrer Schwester bei ihren Eltern.
Siegfried K. kannte sich an der Grenze bei Oebisfelde einigermaßen gut aus, er war dort als 15-Jähriger schon einmal in den Westen geflüchtet, dann aber in die DDR zurückgekehrt. Als sich die Gruppe in der Dunkelheit am Südrand von Oebisfelde der Grenze näherte, löste einer von ihnen die Signalanlage vor dem Grenzzaun aus. Unmittelbar danach schossen Grenzposten von einem nahe gelegenen Grenzturm eine rote Leuchtkugel in den Himmel. Die drei Flüchtlinge rannten zum etwa drei Meter hohen Grenzzaun. Siegfried K. gelang es mit Hilfe einer Zange, die er als Steighilfe in den Metallgitterzaun steckte, den Zaun zu erklimmen. Heidi Schapitz und Gunnar J. hatten ihm dabei von unten geholfen. In dem Moment, als Siegfried K. die Zaunkrone erreichte, erfasste ihn der Scheinwerfer eines nahe gelegenen Postenturms. Von dort aus eröffnete der Grenzsoldat Wilfried M. das Feuer. Siegfried K. sprang sofort vom Zaun herunter und blieb auf der westlichen Seite in der Dunkelheit liegen. Unterdessen begannen zwei in der Nähe eingesetzte Grenzstreifen ebenfalls, auf die Flüchtlinge zu schießen. In der späteren Untersuchung des Vorfalls durch den Staatssicherheitsdienst ist von insgesamt 37 Schüssen die Rede.
Heidi Schapitz hatte gerade den Rand des Zaunes erklettert, als sie ein Schuss traf und sie mit einem leisen Ausruf wieder hinabstürzte. Gunnar J. zog sie unter Beschuss durch die Grenzposten in den Sperrgraben und rief Siegfried K. zu, er solle „abhauen“, Heidi sei verletzt und könne sich nicht mehr bewegen. K. brachte sich daraufhin nahe des Gutes Büstedt über ein Wehr der Aller in Sicherheit. Die herbeigeeilten DDR-Grenzer fanden Gunnar J. und die durch einen Bauchschuss schwer verletzte Heidi Schapitz im Sperrgraben vor dem Grenzzaun. Ein Sanitäter der Grenztruppen verband sie notdürftig. Ein Sanitätswagen brachte sie zum Vertragsarzt der Grenztruppen Dr. Barth. Auf dem Weitertransport zum Stab des Grenzbataillons Gardelegen erlag Heidi Schapitz gegen 23.15 Uhr ihren Verletzungen.
Am folgenden Tag, dem 8. April 1972, erhielt der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke die „Information über ein schweres Vorkommnis an der Staatsgrenze West im Bereich des Grenzkommandos Nord“. Darin wurden ihm die Ermittlungsergebnisse der Spezialkommission des Magdeburger MfS mitgeteilt. Demnach hatte der Postenführer Unterfeldwebel Detlef T. zehn Schüsse auf die Flüchtlinge abgegeben, der Soldat Hans-Jürgen N. 20 Schüsse, der Soldat Wolfgang S. zwei Schüsse gezielten Feuers und Wilfried M. vom Postenturm aus fünf gezielte Schüsse. Die Postenführer Gefreiter Günter W. und Gefreiter Jürgen S. hatten keine Schüsse abgegeben. Die Bewertung des Handelns der Grenzposten durch die Spezialkommission lautete: „Die eingesetzten Grenzposten und die Kontrollstreife führten entsprechend den Dienstvorschriften und dem erhaltenen Kampfauftrag die gestellten Aufgaben initiativreich durch. Die geführten aktiven Handlungen waren zielstrebig.“
Bei der Obduktion des Todesopfers in Magdeburg am 10. April 1972 stellte sich heraus, dass Heidi Schapitz schwanger war. Ihr Tod trat durch schwere innere Verletzungen in Folge des Bauchschusses ein. Der Kommandeur des Grenzschutzkommandos Nord Hannover, Brigadegeneral Kühne, protestierte am 11. April 1972 mit einem Fernschreiben bei dem Kommandeur des DDR-Grenzkommandos Nord Generalmajor Harald Bär gegen die Anwendung der Schusswaffen am 7. April 1972. Kühne richtete im Auftrag des Bundesministers des Innern an Generalmajor Bär „den eindringlichen Appell, aus humanitären Gründen Maßnahmen zu treffen, die eine derartige Anwendung von Schußwaffen durch die NVA-Grenztruppen ausschließen“.
Der Staatssicherheitsdienst informierte die Eltern mit zweitägiger Verspätung über den Tod ihrer Tochter und verlangte von ihnen, die Todesursache zu verschweigen. Eine Traueranzeige für Heidi Schapitz durfte nur unter der Bedingung erscheinen, dass sie keinerlei Angaben über die Todesumstände enthielt, sondern lediglich einen „tragischen Unglücksfall“ erwähnte. Der Staatssicherheitsdienst traf zur „Sicherung der Beisetzung“ am 19. April 1972 umfangreiche Vorkehrungen. Ein inoffizieller Mitarbeiter mit Decknamen „Ulsberger“, der den Kontakt zur Familie hergestellt hatte, sollte an der Beisetzung teilnehmen und das Verhalten der Beteiligten beobachten, mehrere MfS-Leute sicherten die Umgebung des Friedhofs ab und fotografierten heimlich die Trauernden. Heidi Schapitz‘ Vater konnte den Tod seiner Tochter nicht verschmerzen. Ermittlungsunterlagen aus den 1990er Jahren enthalten Angaben, wonach er einige Tage nach ihrer Beisetzung aus dem Haus gelaufen sei und geschrieen habe, dass die Schweine seine Tochter umgebracht hätten.
In den Tagen nach dem Tod von Heidi Schapitz führten Politoffiziere mit etwa 30 Soldaten aus der 7. Grenzkompanie Einzel- und Gruppengespräche. Oberstleutnant Müller von der Magdeburger MfS-Bezirksverwaltung meldete seinem Minister Mielke nach Berlin: „Auswertung der vorbildlichen Handlungen in einem Kompanieappell am 8.4.1972 und Würdigung der gezeigten Leistungen der Angehörigen der Grenzkompanie“. Hans-Jürgen N., der 20 Schüsse auf die Flüchtlinge abgegeben hatte, arbeitete damals unter dem Decknamen „Hans Eppert“ inoffiziell für den Staatssicherheitsdienst. Er nahm sich am 5. Oktober 1990 das Leben. Die Ermittlungen gegen die übrigen Beteiligten führten zu keiner Anklageerhebung, da ungeklärt blieb, wer den tödlichen Schuss abgegeben hatte.