Eigentlich wollte Wilfried Max Komorek nach dem Abitur studieren. Doch dies wurde ihm in der DDR verwehrt. Weil er keiner Arbeiter- oder Bauernfamilie entstammte – sein Vater arbeitete als Angestellter bei der staatlichen DDR-Versicherungsanstalt und war überdies auch kein Mitglied der SED –, wurde ihm der ersehnte Zugang zum Studium verweigert. Geboren und aufgewachsen in der thüringischen Kreisstadt Greiz, wo er auch die Polytechnische Oberschule besuchte, blieb Wilfried Komorek nichts anderes übrig, als eine Ausbildung zum Elektrotechniker beim VEB Carl Zeiss Jena zu machen. Dort erhielt er hernach auch einen festen Arbeitsplatz. Dennoch blieb die Gesamtsituation für den 19-Jährigen unbefriedigend. Hoffte er, im Westen doch noch eine akademische Ausbildung beginnen zu können? Das wäre ein plausibles Motiv gewesen, der DDR den Rücken zu kehren. Doch gesichert ist dies nicht – bezüglich seiner Fluchtgründe hat sich Komorek vor seinem Tod nie geäußert. Weder gegenüber den Eltern, die seit Anfang der 1960er Jahre in Trennung lebten, noch gegenüber den beiden Halbgeschwistern. Einzig seine damalige Freundin, die in der Nähe von Jena wohnte, wusste von den Fluchtabsichten ihres Freundes. Gern wäre er mit ihr zusammen in den Westen aufgebrochen, doch die junge Frau mochte ihre Mutter nicht allein zurücklassen.
Vermutlich trug sich Wilfried Komorek schon seit Längerem mit Fluchtgedanken, bevor er diese schließlich in die Tat umsetzte. In der Woche vor seinem Fluchtversuch ließ er sich von der Arbeit beurlauben. Er dürfte die Zwischenzeit zur Auskundschaftung der Fluchtroute genutzt haben. Seine Aufmerksamkeit galt dabei vor allem den Bahnhöfen in Grenznähe. Er plante nämlich, mit Hilfe eines Fanghakens auf einen Zug im grenzüberschreitenden Verkehr aufzuspringen. Von all dem ahnten seine Angehörigen nichts. Wohl fiel ein letzter Besuch bei seinem Vater herzlicher aus als sonst – der 19-Jährige hatte, ungewöhnlich genug für ihn, Geschenke mitgebracht, auch verabschiedete er sich inniger als üblich. Er ließ aber nicht erkennen, dass er schon wenige Tage später die Republik für immer verlassen wollte. Am 26. Oktober 1971 war es schließlich soweit. Mit seinem Motorrad brach Wilfried Komorek in Richtung Grenze auf. Der Grenzübergang bei Gutenfürst lag nur etwa 45 Kilometer von Greiz entfernt. Hier wollte er die innerdeutsche Grenze im Bereich des Eisenbahngrenzübergangs Gutenfürst-Hof überwinden.
Was genau sich auf dieser Fahrt zugetragen hat, bleibt im Einzelnen unklar. Fraglich ist auch, ob es Komorek gelang, auf ein Schienenfahrzeug aufzuspringen – wahrscheinlicher ist, dass ihn die Sicherheitskräfte bereits zuvor aufspürten. Immerhin verzeichnet die Tagesmeldung der Grenztruppen im Bereich der 9. Grenzkompanie, Grenzregiment Plauen, die Verhaftung einer namentlich nicht genannten Person, ausdrücklich ohne Anwendung der Schusswaffe. In jedem Fall wurde Komorek noch am gleichen Tag von Polizisten aus Plauen in die dortige Untersuchungshaftanstalt gebracht. Der Aufnahmebogen der Haftanstalt enthält als ihm angelastete Straftat: § 213 StGB, „ungesetzlicher Grenzübertritt“, welcher in besonders schweren Fällen mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft wurde. Eine Aussicht, die den 19-Jährigen mutmaßlich zur Verzweiflung trieb. Zwei Tage lang hielt er es in der Haft noch aus, dann, am 29. Oktober 1971 gegen 4 Uhr in der Frühe, erhängte er sich. Seiner Mutter, die man an diesem Tag in die Haftanstalt bestellte, wurde erst vor Ort vom Tod ihres Sohnes unterrichtet. Ein letzter Abschied wurde ihr verwehrt, sie durfte ihren toten Sohn nicht mehr sehen. Sein Leichnam wurde gegen den ausdrücklichen Willen der Angehörigen eingeäschert. Nahezu sämtliche persönliche Habseligkeiten blieben als Beweismittel beschlagnahmt, lediglich sein Motorrad erhielt die Familie später zurück. Wilfried Komoreks sterbliche Überreste wurden auf dem Greizer Hauptfriedhof beigesetzt, im kleinsten Kreis und unter starker Präsenz von Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes.
Für die Mutter war das alles zu viel. Sie verkraftete den Tod ihres Sohnes nicht. Nur um sechs Monate überlebte sie ihn, dann starb sie mit nur 48 Jahren an einem Hirnschlag. Auch den übrigen Angehörigen ließ Komoreks Tod keine Ruhe. Die Heimlichtuerei um den Leichnam weckte ihr Misstrauen. Hatte der 19-Jährige wirklich den Freitod gewählt? Einen Abschiedsbrief, der seinen Entschluss vielleicht erklärt hätte, soll er nicht hinterlassen haben. Anfang 1999 stellte die Familie Strafanzeige gegen Unbekannt. Die Zwickauer Staatsanwaltschaft fand jedoch in den wenigen noch existierenden Unterlagen keine Hinweise auf ein Fremdverschulden und stellte im April 2000 das Ermittlungsverfahren ein.