Der Tod von Karl-Heinz Fischer gehört zu den grausamsten Ereignissen an der Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Er führte nicht nur den Menschen im Landkreis Mellrichstadt schlagartig die Gefährlichkeit des 1963 von den Grenztruppen der NVA verlegten Minengürtels vor Augen, sondern rief auch entschiedene Proteste des Bundesinnenministeriums hervor.
Am Vormittag des 29. März 1971 entdeckte ein bayerischer Grenzpolizist zwölf Meter von der Demarkationslinie entfernt einen abgerissenen menschlichen Fuß. Blutspuren führten zu der Leiche von Karl-Heinz Fischer, der nur etwa 550 Meter vor Sondheim auf freiem Felde verblutet war. Fischer hatte in der vorausgehenden Nacht bei Behrungen im Kreis Meiningen die Grenzanlagen überwunden. Dabei löste er im Kontrollgebiet ein Signalgerät, eine Alarmanlage mit Rundumleuchte und Sirene aus. Eilig kletterte er über einen zwei Meter hohen Metallgitterzaun und lief über den Minengürtel in Richtung Bundesrepublik. Dabei trat er auf eine Bodenmine, die detonierte und ihm den rechten Fuß abriss sowie zahlreiche Verwundungen durch Splitter zufügte. Kriechend erreichte er den äußeren Grenzzaun. Mit bloßen Händen schaffte er es, eine Mulde unter das Metallgitter zu graben und sich hindurchzuziehen. Im Westen angekommen, hoffte er vergeblich auf Hilfe. Die etwa 900 Meter bis zum nächsten Ort waren für den Schwerverletzten nicht mehr zu bewältigen.
Karl-Heinz Fischer wird, wie viele andere Opfer des DDR-Grenzregimes, nicht mit dessen waffentechnischer Aufrüstung gerechnet haben, zumal er die Grenzanlagen noch aus dem Jahr 1959 zu kennen glaubte. Damals hatte er denselben Weg benutzt, war ohne Schwierigkeiten in den Westen gekommen und einige Monate später zurückgekehrt. Zuvor hatte er 1956 die DDR über Berlin verlassen und zwei Jahre in der Bundesrepublik gelebt. Doch auch damals war ihm das Leben als Grenzgänger schon von einem früheren Seitenwechsel her bekannt – das Leben in zwei Welten schien immer wieder die Chance eines Neuanfangs geboten zu haben: im Westen als Walzwerker, im Osten als Familienvater und Gelegenheitsarbeiter. Dennoch geriet er auf beiden Seiten immer wieder in Konflikt mit der Justiz. Namentlich in der DDR wurde der unter Alkoholeinfluss streitlustige Mann wegen „Propaganda für den Nationalsozialismus“, Vergehen gegen das Passgesetz und Diebstahl zur Verantwortung gezogen. Dabei war vieles eine Spur kleiner als die Vorwürfe vermuten lassen: Mal wählte er zu barsche Worte, als er den Besuch des Films „Ernst Thälmann, Sohn seiner Klasse“ verweigerte, dann hatte er sich beim Kohleausfahren selbst bedient, und schließlich wollte er mit seinem nagelneuen, wenn auch noch nicht abbezahlten Moped von Krefeld aus die Familie in Meiningen besuchen. Als am 28. März 1971 die Eheleute in einen heftigen Streit gerieten – weder seine Kündigung beim örtlichen Möbelwerk noch die Wirtshausbesuche mochte seine Frau hinnehmen –, entschloss sich Karl-Heinz Fischer wieder zu einer Flucht in den Westen.
Für die Witwe begannen nach seinem Tod Tage der Unsicherheit. Seitens der DDR wurde zunächst jedes Gespräch über die Rückführung des Leichnams abgelehnt. Während die westdeutschen Zeitungen schon Großaufnahmen der verstümmelten Leiche zeigten, versuchte Frau Fischer sich an das Bürgermeisteramt von Sondheim zu wenden und um Aufklärung zu bitten. Doch die Briefe wurden abgefangen. Mitarbeiter des MfS gaben ihr keine Informationen über das Schicksal ihres Mannes und verlangten von ihr vielmehr, schriftlich auf die Rückführung der Leiche zu verzichten. Erst im April konnte der Tote anhand der Fingerabdrücke zweifelsfrei identifiziert werden und es dauerte noch bis zum 27. Mai, bis ein Begräbnisunternehmen KarlHeinz Fischer nach Meiningen zurückbrachte.
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin klagte am 12. Juni 1995 den ehemaligen Stabschef im Kommando der Grenztruppen Fritz Rothe an. Wegen versuchten und vollendeten Totschlags in jeweils drei Fällen (darunter auch Karl-Heinz Fischer) verurteilte ihn das Landgericht Potsdam am 16. Dezember 1997 zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Generalleutnant Hans Wiesner, der ehemalige Chef der Militärakademie „Friedrich Engels“ wurde am 26. Februar 1999 von der Staatsanwaltschaft Dresden wegen des Todes von Karl-Heinz Fischer und vier weiterer Flüchtlinge angeklagt. Das Landgericht Dresden stellte das Verfahren am 18. August 2000 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ein. Die Staatsanwaltschaft Erfurt klagte am 6. Juli 1999 Burkhardt R. an. Der Chef einer Pionierkompanie, die für die Anlage der Minensperren verantwortlich war, wurde vom Landgericht Meiningen am 8. Dezember 1999 wegen Totschlags in zwei Fällen zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.