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Biografisches Handbuch

Uwe Preußner

geboren am 9. Januar 1950 in Dresden | erschossen am 6. August 1969 | Ort des Vorfalls: zwischen Mendhausen (Thüringen) und Rothausen (Bayern)
Der 19-jährige Betonbauer aus Dresden leistete seit drei Monaten Wehrdienst bei den Pionieren. Bei Zaunarbeiten an der Grenze zu Bayern wollte er die Gelegenheit zur Flucht nutzen. Bereits auf dem Gebiet der Bundesrepublik angekommen, wurde er von einem Offizier seiner Kompanie erschossen.

Die Ackerflächen des Ehepaars Mock aus dem fränkischen Rothausen reichten bis zur Grenze nach Thüringen. Als die beiden Landwirte am 6. August 1969 gegen 13.40 Uhr ihre Feldarbeit erledigt hatten und nach Hause gehen wollten, blieb der Mann einen Augenblick stehen. Er sah zu den Pionieren der NVA hinüber, die Zaunarbeiten an der Grenze zu Bayern verrichteten. Sie schnitten den alten Stacheldrahtzaun von den Pfosten und brachten stattdessen neue Steckmetallgitter an. Zehn Meter vor der Demarkationslinie zeigte ein Absperrband an, bis wohin sich die DDR-Grenzsoldaten bewegen durften. Sie wurden von Sicherungsposten bewacht, die an den Grenzsteinen standen. Der Zaun, der erneuert worden war, war von hier aus 20 Meter entfernt, aber die Pioniere kamen immer wieder nahe ans Absperrband heran, weil dort eine Stelle war, an der sie die Stacheldrahtstücke ablegen sollten. Plötzlich ließ ein Pionier seinen Bolzenschneider fallen und rannte über das Absperrband hinweg in Richtung Bundesrepublik. Einer der Sicherungsposten rief: „Mach keinen Mist, komm zurück!“ Den Flüchtling konnten sie nicht mehr erreichen, es dauerte nur Sekunden, und er befand sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Als die DDR-Grenzer Warnschüsse abfeuerten, warf er sich auf den Boden des Feldes. Er versuchte, sich dort zu verstecken, doch der Bewuchs stand nicht hoch genug.

Was sich nun zutrug, bewerten die Juristen Klaus Marxen und Gerhard Werle als „Exzeßtat“. Ein Offizier lief zur Demarkationslinie vor, rief dem flüchtenden Soldaten zu, dass er zurückkommen solle, und feuerte mit seiner Pistole nochmals Warnschüsse ab. Der geflüchtete Pionier, bereits auf dem Gebiet der Bundesrepublik angekommen, wandte sich an das etwa 30 Meter entfernt stehende Ehepaar Mock und bat: „Kommt zu mir, dann dürfen die nicht mehr schießen.“ Doch ehe sie reagieren konnten, feuerte der Offizier mit ausgestrecktem Arm auf den bäuchlings etwa 23 Meter entfernt liegenden Flüchtling einen Schuss ab. Getroffen schrie der junge Mann auf, sackte in sich zusammen und blieb regungslos liegen. Der Offizier lief daraufhin zusammen mit einem Oberleutnant über die Demarkationslinie hinweg auf den im Feld Liegenden zu. Sie schleiften ihn auf DDR-Gebiet zurück – „wie ein Stück Vieh“, erinnerte sich Ludwig Mock. Dort verband der Regimentsarzt seine Kopfwunde, bevor er mit einem Sanitätsfahrzeug ins Krankenhaus Hildburghausen gefahren wurde. Nach ein bis eineinhalb Minuten war alles vorbei. Noch am selben Tag starb Uwe Preußner – ein Betonbauer aus Dresden, der erst seit drei Monaten seinen Wehrdienst leistete – nach einer Notoperation im Krankenhaus. Das Ehepaar Mock sah die Blutspur auf seinem Feld. Nie wieder konnten sie den Blick vergessen, mit dem der junge Mann sie angeschaut hatte, bevor auf ihn geschossen wurde.

24 Jahre später musste sich der Rentner Paul H. vor dem Landgericht Schweinfurt für den Tod des 19-jährigen Pioniers Uwe Preußner verantworten. Nach den Schüssen war H. vom damaligen Armeegeneral Hoffmann mit der Nationalen Verdienstmedaille in Gold ausgezeichnet worden und hatte eine Geldprämie von 400 Mark erhalten. Im Bundesministerium des Innern reagierte man auf den Vorfall mit einer Diskussion darüber, ob BGS-Beamte in Zukunft verstärkt direkt an der Grenze zu postieren seien, damit „Fluchtbereiten die Flucht psychologisch und tatsächlich erleichtert werden kann“. Man befand sich „in den sechziger Jahren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges“, gab das Landgericht Schweinfurt am 1. Juli 1993 zu bedenken. Es kam zu dem Ergebnis, dass Paul H. den am Boden liegenden Uwe Preußner erschossen und dies zumindest mit einem bedingtem Tötungsvorsatz getan hatte. Zwar gab dieser bei der Vernehmung an, dass er damals auf die Füße des Flüchtlings gezielt hätte, um ihn fluchtunfähig zu schießen, doch hierbei, befand das Gericht, habe er den Tod Preußners billigend in Kauf genommen. Schließlich müsse ihm als erfahrener Offizier die geringe Zielsicherheit eines Pistolenschusses aus dem Stand bei einer Entfernung von etwa 23 Metern bewusst gewesen sein. Auch hätte er, anstatt zu schießen, zu dem am Boden sich nur robbend fortbewegenden Soldaten hinüberlaufen und ihn mit erhobener Waffe zur Rückkehr zwingen können.

Das Landgericht Schweinfurt verurteilte H. am 1. Juli 1993 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Die Strafkammer ging davon aus, dass H. nicht nur gegen bundesdeutsches, sondern auch gegen DDR-Recht verstoßen hatte, weil die damals für die Grenzsicherung gültige Dienstverordnung eindeutig bestimmte: „Die Schußwaffe darf nur in Richtung des Territoriums der Deutschen Demokratischen Republik oder parallel zur Staatsgrenze gegen Grenzverletzer angewendet werden.“ Der Bundesgerichtshof bemängelte 1994 das Strafmaß. Ein halbes Jahr später befand die 2. Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt in einem Revisionsverfahren über die Milderungsgründe. Zu ihnen gehörte auch die „widersprüchliche Befehlslage im Falle eines Fluchtversuchs“. Neben der bereits zitierten Dienstanweisung bestanden „dieser widersprechende interne Anordnungen“, nach denen eine Fahnenflucht auf jeden Fall verhindert werden sollte. Dem Offizier drohten von vorgesetzter Seite empfindliche Repressalien, die überdies seine Karriere in der Armee beendet hätten. Nach Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände beschloss das Gericht einen Ausnahmestrafrahmen und verurteilte den 61-Jährigen, der seit 14 Monaten in Untersuchungshaft saß, am 20. Juni 1994 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten.


Biografie von Uwe Preußner, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/169-uwe-preussner/, Letzter Zugriff: 21.11.2024