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Biografisches Handbuch

Hubert Klein

geboren am 20. August 1935 in Leipzig | getötet durch eine Erdmine am 24. Juli 1969 | Ort des Vorfalls: etwa 500 Meter oberhalb von Einödhausen, Ortsteil Harles, Kreis Meiningen (Thüringen)
BildunterschriftHubert Klein
BildquelleBStU
Quelle: BStU
Der 33-jährige Hubert Klein pendelte unstet zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Weil ihm die Behörden des SED-Staats die Einbürgerung verweigerten, versuchte er im Juli 1969 die innerdeutsche Grenze abseits eines offiziellen Übergangs von Westen her zu überwinden. Dabei verletzte ihn eine Mine tödlich.

Hubert Kurt Klein kam 1935 in Leipzig als Sohn des Polizeibeamten Arno Klein und seiner Frau Ella Martha zur Welt. Sein Vater wurde 1938 nach dem Münchner Abkommen in das Sudetenland versetzt. Die Familie folgte ihm dorthin und wohnte in Saaz (heute Žatec, Tschechien). Der Vater kam, nach Angaben seines Sohnes, 1941 zunächst in einem Polizeibataillon im Raum Kiew und dann zur Partisanenbekämpfung in Italien zum Einsatz. Nach Kriegsende flüchtete Ella Klein mit ihren drei Kindern aus dem Sudetenland zunächst zurück nach Leipzig und kam dann bei der Großmutter in Wildschütz, Kreis Weißenfels, unter. Dort ist sie 1947 gestorben. Arno Klein kehrte im gleichen Jahr aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück und holte die Kinder aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen, wo er in Nordrhein-Westfalen wieder in seinem Beruf als Polizeibeamter arbeitete und mit seinen Kindern lebte. Einem handgeschriebenen Lebenslauf Hubert Kleins ist zu entnehmen, dass er 1951 eine Bäckerlehre begann, die er nach einem Jahr abbrach. Da sein Vater Arno mit ihm nicht zurechtkam, übernahm die Jugendfürsorge seine Betreuung und vermittelte ihm eine Lehrstelle als Bauschlosser. Nach der Gesellenprüfung verdingte er sich in der Landwirtschaft. Zweimal, 1953 und 1955, versuchte Hubert Klein kurzeitig sein Glück in der DDR, die er beide Male nach wenigen Monaten wieder verließ. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre arbeitete Klein in einer Freiburger Poliererei, in einer Braunschweiger Eisengießerei und im Straßenbau des Landes Baden-Württemberg. Im Jahr 1960 verurteilte das Schöffengericht Bayreuth den damals 24-jährigen Hubert Klein wegen eines Einbruchdiebstahls und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren.

Wie sich Kleins ältere Schwester Inge erinnerte, führte er das Leben eines Herumtreibers. Seit seiner Jugend verschwand er immer wieder in unregelmäßigen Abständen und ohne Angabe seines Aufenthaltsorts für unbestimmte Zeit, um nach einer Weile ebenso unerwartet wieder aufzutauchen. Verschiedentlich erschien er überraschend bei seiner Schwester und deren Mann, blieb für einige Tage oder Wochen, um dann wieder ohne Angabe von Gründen spurlos zu verschwinden. Etwa Ende 1961, vermutlich unmittelbar nach seiner Haftentlassung im November 1961, kam Hubert Klein zum letzten Mal unerwartet in die Wohnung seiner Schwester. Unterhalten konnte sie sich mit ihm nur über die gemeinsame Kindheit, über seine jüngste Vergangenheit sprach er nicht. Er wurde neu eingekleidet, polizeilich angemeldet und fand einen Arbeitsplatz bei Siemens in Erlangen. Nach etwa sechs Monaten verschwand er im Frühjahr 1962 mit der Haushaltskasse. Seitdem hörten seine Verwandten nichts mehr von ihm.

Am 8. März 1962 kletterte Hubert Klein bei Ullitz (Bayern) über den DDR-Grenzzaun und ließ sich von Grenzsoldaten festnehmen. Nach ersten Vernehmungen brachte man ihn in das Aufnahmeheim des DDR-Innenministeriums in Saasa. Dort blieb er vom 13. März bis zum 26. März 1962. Dann schob ihn die DDR wieder nach Westdeutschland ab. In einer handschriftlichen „Übertrittserklärung“ erläuterte Hubert Klein, warum er in die DDR gekommen sei. Er lehne das „totalitäre Wirtschaftssystem in der westlichen Welt“ und den „Kampf eines jeden gegen den Anderen“ aus eigener leidvoller Erfahrung ab. „Die kommunistische Anschauung des Lebens, ihre Lebensanschauung der Gemeinsamkeit ist für mich zum Ideal geworden. Ich habe mich entschlossen, Mitglied derer zu werden, die mit ganzem Herzen die Lebensform der Kommune anstreben.“ Ein Volkspolizeimeister, der Klein im Aufnahmeheim vernahm, stufte ihn trotz dieses glühenden Bekenntnisses zum Kommunismus als „Unsicherheitsfaktor“ ein. Er sei „ein arbeitsscheues asoziales Element […] und war immer unterwegs. Er hat selten einen festen Wohnsitz gehabt.“ Die Aufnahmekommission des Heims lehnte dann Kleins Antrag, in der DDR bleiben zu dürfen, mit folgender Begründung ab: „Auf keinen Fall kann damit gerechnet werden, dass er sich den Normen unseres gesellschaftlichen Lebens anpassen würde. Er stellt einen Unsicherheitsfaktor dar. Aufnahme in Sperrkartei erforderlich.“

Sieben Jahre später, am 27. Juli 1969, entdeckten DDR-Grenzposten 500 Meter westlich von Unterharles eine männliche Leiche in der Minensperre. Im Bericht der Grenztruppen heißt es: „Der Grenzverletzer überkletterte den feindwärtigen Zaun und fiel beim Abspringen mit dem Arm auf eine Mine, die seinen Brustkorb aufriß.“ Die Überlieferungen der Grenztruppen enthalten für die Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1962 einen Eintrag über eine Minenexplosion genau in diesem Grenzabschnitt. Eine Kontrolle fand jedoch nicht statt, da man glaubte, die Detonation sei, wie so oft, durch Wildtiere ausgelöst worden. Bei dem am 27. Juli 1969 aufgefundenen Todesopfer fand man zunächst nur Fahrkarten der Bundesbahn, aber keine Personalpapiere. Sowohl in den Berichten der Grenztruppen als auch in der am 29. Juli 1969 vom Standesamt Sülzfeld ausgestellten Sterbeurkunde ist von einem „unbekannten Mann“ die Rede.

Die Bezirksverwaltung Suhl des Ministeriums für Staatssicherheit, die den Fall untersuchte, wusste freilich schon kurz darauf, dass es sich bei dem Toten um Hubert Klein handelte. Die MfS-Leute konnten nämlich ein zerrissenes Stück Papier wieder zusammensetzen, das bei dem Toten aufgefunden wurde. Es handelte sich um eine amtliche Bescheinigung, dass „Hubert Klein, zur Zeit ohne festen Wohnsitz“ am 17. Juli 1969 der Polizei den Verlust seiner Personalpapiere gemeldet hatte.

Noch bevor es nach der Wiedervereinigung zur Aufnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zu den Todesumständen von Hubert Klein kam, hatten dessen Geschwister versucht, ihn amtlicherseits für tot erklären zu lassen, da dies die Nachlassregelung ihres 1993 verstorbenen Vaters vereinfacht hätte. Da es an eindeutigen Beweisen für das Ableben Kleins fehlte, kam es nicht zu der beantragten Todeserklärung. Schwester und Schwager konnten Hubert Klein auf den Fotografien aus den Untersuchungsakten des Staatssicherheitsdienstes, die ihnen Ermittler im Herbst 1996 vorlegten, nicht eindeutig identifizieren.

Der Todesfall fand keine Erwähnung im 1999 ergangenen Urteil des Landgerichts Meiningen gegen den Chef der Pionierkompanie, die seinerzeit die tödlichen Minen in dem Grenzabschnitt verlegt hatte, die Klein zum Verhängnis wurden. Der angeklagte frühere Grenzoffizier Hauptmann Burghardt R. erhielt wegen Totschlags in zwei anderen Fällen eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Die Richter meinten wohl, dass Kleins Grenzübertritt vom Westen aus ohne Not und auf eigenes Risiko geschah.


Biografie von Hubert Klein, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/168-hubert-klein/, Letzter Zugriff: 25.04.2024