Der Grenzdienst in der Silvesternacht war unter den Wehrdienstleistenden besonders unbeliebt. Die jungen Männer wussten, dass ihre Familien und Freunde in dieser Nacht zusammen waren und feierten. Sie hingegen standen in Postenpaaren im Wachdienst und konnten das Feuerwerk auf beiden Seiten der Grenze nur aus der Ferne beobachten. Reinhard Dahms aus Finowfurt (Brandenburg) musste am 3. Mai 1965 seinen Wehrdienst antreten. Da er keine Verwandten in der Bundesrepublik hatte, musterte man ihn für den Einsatz bei den Grenztruppen. Der 21-jährige Maurer wurde in der Grenzkompanie Gollensdorf (Sachsen-Anhalt) stationiert und diente dort als Hundeführer. Kameraden beschrieben ihn als ruhigen Menschen, mit dem man gut auskam. Auch seine Vorgesetzten sahen keinen Anlass zur Kritik, doch in Briefen, die er seinen Eltern und Geschwistern schrieb, machte er sich Luft und fand Worte für seine Abneigung gegen den Grenzdienst.
Am 31. Dezember 1965 um 20 Uhr traten Reinhard Dahms als Posten und der Stabsgefreite Harald J. als Postenführer zum Grenzdienst an. Reinhard Dahms führte seinen Diensthund mit sich. Erst am darauffolgenden Morgen um 4 Uhr sollte die Nachtschicht zu Ende gehen. Ihre Aufgabe bestand darin, den Bereich um die Königsbrücke an der gesperrten Straße zwischen Bömenzien und Kapern zu überwachen. Harald J. war unter dem Decknamen „Rolf Hertha“ IM für das MfS. Sein Einsatzbefehl war die „Aufdeckung und Verhinderung von Fahnenfluchten“. Wattejacken und wattierte Hosen schützten die beiden Soldaten gegen Kälte. Doch in diesem Jahr war die Silvesternacht ohnehin mild. Um Mitternacht konnten sie den Lichtschein und das Krachen der Raketen wahrnehmen, die im niedersächsischen Kapern gezündet wurden. Doch es bot sich ihnen kaum Gelegenheit, das Feuerwerk zu betrachten. Gegen Mitternacht fand eine Kontrolle durch mehrere Offiziere statt. Sie überbrachten auch förmliche Glückwünsche zum neuen Jahr und versorgten die Posten mit einem Glas Punsch. Kaum waren die Offiziere wieder fort, fuhr der Stabschef der 2. Grenzkompanie vor und führte ebenfalls eine Kontrolle durch. Sicherlich wollten sich die ranghohen Grenzer davon überzeugen, dass die Soldaten nicht im Dienst die Ankunft des neuen Jahres feierten. Erst nach 0.35 Uhr wagten es Reinhard Dahms und Harald J., zu den Nachbarposten hinüberzugehen und mit Weinbrand auf das Jahr 1966 anzustoßen. Als sie auf dem Rückweg gegen 1.30 Uhr an der Königsbrücke ins Gespräch mit zwei westdeutschen Zollbeamten kamen, wirkten sie „zwar angetrunken, keineswegs aber betrunken“. Wie sich später einer der beiden Zollbeamten erinnerte, nahmen die DDR-Grenzer den Kontakt zu ihnen auf. Nachdem sie Neujahrsgrüße ausgetauscht hatten, äußerten die Grenzsoldaten, dass sie lieber Silvester feiern würden, als Grenzdienst zu schieben. Dann verabschiedeten sie sich: „Wir müssen wieder zurück, macht’s gut.“ Kaum hatten sich die Zollbeamten 300 Meter von der Königsbrücke entfernt, hörten sie aus Richtung Bömenzien mehrere Feuerstöße aus einer Maschinenpistole.
Ein Bericht des Staatssicherheitsdienstes, der auf den Aussagen von Harald J. beruht, enthält keinen Hinweis auf das für DDR-Grenzer streng verbotene Gespräch mit den Zollbeamten. Laut diesem Bericht habe Dahms bereits vorher, gegen 1 Uhr, nach dem Treffen mit den Nachbarposten, zu Harald J. gesagt, er wolle näher an die Grenzzäune auf der Königsbrücke herangehen, um die letzten Feuerwerksraketen im Westen besser sehen zu können. Reinhard Dahms sei dann so eilig in Richtung Grenzzaun gelaufen, dass Harald J. ihn auffordern musste, langsamer zu gehen. In diesem Augenblick soll Dahms gesagt haben: „Komm, wir hauen nach Westen ab. Du brauchst keine Angst zu haben, ich lasse Dich nicht im Strich und werde Dich drüben versorgen.“ Vermutlich war Postenführer Harald J. zunächst unschlüssig, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Später behauptete er gegenüber dem MfS, er sei zum Schein auf den Vorschlag eingegangen, „in der Absicht, die Fahnenflucht zu verhindern“. Dann muss alles sehr schnell gegangen sein: An der Königsbrücke habe er versucht, über das Grenzmeldenetz die Kompanie zu verständigen. Dahms habe ihm aber den Hörer aus der Hand gerissen und nochmals zur Fahnenflucht aufgefordert, dann sei Dahms allein auf die Grenzsperren zugelaufen. Er überwand einen Wassergraben und lief auf den letzten Grenzzaun zu. Harald J. begann zu schießen. Mit der auf Dauerfeuer gestellten Waffe feuerte das gesamte Magazin seiner Maschinenpistole auf Dahms ab, anschließend lud er sofort ein zweites Magazin nach und schoss es bis zu letzten Patrone leer. 24 der insgesamt 60 Geschosse trafen Reinhard Dahms, drei davon mit tödlicher Wirkung. Das Kriminaltechnische Institut stellte bei der Spurensicherung später „zahlreiche riß- und lochförmige Gewebeverletzungen“ an Dahms Kleidungsstücken und Ausrüstungsgegenständen fest. Der Hund von Reinhard Dahms wurde ebenfalls durch Schüsse verletzt und musste später eingeschläfert werden. Anschließend lief Harald J. zum Schlagbaum Bömenzien zurück, wo er auf die bereits herbeieilende Alarmgruppe und den Zugführer traf.
In den Abendstunden des 1. Januar 1966 suchten drei Stabsoffiziere die Familie von Reinhard Dahms in Finowfurt auf und überbrachten die Todesnachricht. Seine Schwester Brunhilde erinnerte sich nach der Wiedervereinigung: „In einer Plane brachte man die Sachen meines Bruders und das ersparte Geld und schüttete sie auf mein Bett – an den Schuhen klebte noch Lehm.“ In den nächsten Tagen wurde die Familie von Mitarbeitern des Wehrkreiskommandos Eberswalde schikaniert. Die vom Wehrkreiskommando um zwei Tage vorverlegte Beisetzung fand unter starker Präsenz des Staatssicherheitsdienstes und der Polizei statt.
In der Bundesrepublik erregte der Zwischenfall öffentliche Aufmerksamkeit, nachdem die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen die Aussagen mehrerer geflohener DDR-Grenzsoldaten und eine Fotografie des Schützen der Presse übergab. Der Mittag titelte: „Dreißig Schuß auf einen Sterbenden. Geflüchtete Grenzsoldaten der Zone klären Mord auf“. Das von einer Bundeswehreinheit für „Psychologische Kriegsführung“ (PSK) herausgegebene Propagandablatt Presserundschau für die bewaffneten Organe übernahm den Artikel aus dem Mittag und verbreitete mit Hilfe von Flugblattballons die Information über den Tod von Reinhard Dahms im Zonenrandgebiet der DDR. Harald J. unternahm 1979 selbst einen Fluchtversuch, für den er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Später stellte er einen Ausreiseantrag, dem die DDR-Behörden 1988 stattgaben. 1996 erklärte er bei seiner Vernehmung durch Ermittler der ZERV, er habe auf Reinhard Dahms geschossen, weil dieser bei der Flucht seine MPi durchgeladen und den Hund auf ihn gehetzt habe.
Die Königsbrücke wurde 1990 abgerissen, um eine ebenerdige Straßenführung anzulegen. Daran, dass auf ihrer Mitte einst eine Grenze verlief, erinnern ein Gedenkstein und ein weißer Streifen, der quer über die Fahrbahn gezogen ist.