Der 26-jährige Kurt Windzus aus Neustadt/Orla versuchte im April 1963 erstmals, in die Bundesrepublik zu flüchten. Doch die Sicherheitsorgane in Plauen deckten sein Vorhaben auf und nahmen ihn fest. Am 9. Januar 1964 stand er nach Verbüßung einer Haftstrafe wieder auf dem Holzabladeplatz des VEB Neustädter Möbelwerke. Hier war er bereits vor seinem Fluchtversuch angestellt. An seinem Wunsch, die DDR zu verlassen, hielt er weiterhin fest. Der Arbeit im Möbelwerk brachte er nunmehr kein großes Interesse entgegen. Er werde ohnehin bald woanders sein, sagte Windzus einem Kollegen.
Ähnlich müssen sich auch der 20-jährige Jürgen Rosenberger und der 23-jährige Siegfried Stöckl gefühlt haben. Früh verheiratet, bewältigen die jungen Arbeiter aus Neustadt/Orla ihre familiären Probleme nicht mehr und träumten von einem Neuanfang in der Bundesrepublik. Auch sie hegten schon länger Fluchtpläne. Gemeinsam mit Kurt Windzus wollten sie nun im Sommer 1964 die Flucht wagen.
In der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 1964 stahlen Windzus, Rosenberger und Stöckl ein Motorrad mit Beiwagen und fuhren damit in Richtung Bad Lobenstein. Bei Lückenmühle ließen sie das Fahrzeug stehen und wanderten bis Liebschütz. Dort übernachteten sie in einer Scheune. Am nächsten Tag schafften sie es bis Bad Lobenstein, erst am Abend des 20. Juli erreichten sie das unmittelbare Grenzgebiet. Sie ahnten nicht, dass bereits ein Alarmzug die Ankunft der mutmaßlichen „Grenzverletzer“ erwartete. Zwei Schüler hatten Windzus, Rosenberger und Stöckl in der Nähe des Dorfes Kießling beobachtet und den stellvertretenden Chef der Grenzkompanie Schlegel über die Ortsfremden informiert. Mehrere Postenpaare riegelten daraufhin den Bereich zwischen Schlegel und Blankenstein ab.
Zunächst hatten die Flüchtenden Glück: Als die drei jungen Männer gegen 18.30 Uhr aus einem Waldstück traten, wurden sie von zwei Grenzern mit einem Diensthund entdeckt. Der Aufforderung, stehenzubleiben, folgte ein Warnschuss. Daraufhin sprang der Wachhund den Schützen an und entriss ihm die Kalaschnikow. Das Tier gehorchte seinem Hundeführer nicht mehr und behielt die Maschinenpistole knurrend im Fang. Auch ließ sich der Hund nicht auf die Flüchtlinge hetzen. Windzus, Rosenberger und Stöckl entkamen deshalb in den Wald. Dort beschlossen sie, es noch einmal an einer anderen Stelle zu versuchen.
Die im Dorschengrund postierenden Grenzer Klaus Dieter T. und Peter R. bemerkten die drei Männer wenig später gegen 19 Uhr. Sie befahlen ihnen, sofort stehenzubleiben und feuerten Warnschüsse ab. Jürgen Rosenberger und Siegfried Stöckl gaben auf, Kurt Windzus jedoch rannte in Richtung der Grenze. Unteroffizier Klaus Dieter T. schrie seinen Posten an, „schieß doch, schieß!“. Peter R. gab daraufhin einen gezielten Feuerstoß aus seiner MPi ab. Ein Projektil traf den Flüchtenden, durchschlug Gesäß und Oberschenkel und zerriss die Beinschlagader. Windzus brach schreiend zusammen. Klaus Dieter T. eilte zu dem Verletzten und versuchte, die Wunde abzubinden, doch die Blutung blieb stark. Der Schütze Peter R. erlitt einen Schock, als er die blutende Wunde sah. Zitternd und handlungsunfähig stand er am Ort des Zwischenfalls, als kurz darauf der Kompaniechef und weitere Angehörige der Alarmgruppe dort eintrafen. Kurt Windzus bat stöhnend um Wasser. Ein Soldat versorgte ihn aus einem nahe gelegenen Bach. Nach etwa 30 Minuten traf das Sanitätsfahrzeug der Kompanie ein und brachte den Verletzten ins Krankenhaus nach Saalburg-Ebersdorf. Dort konnten ihm die Ärzte nicht mehr helfen. Kurt Windzus war während des Transportes verblutet.
Jürgen Rosenberger und Siegfried Stöckl wurden wegen Vergehens nach dem Passgesetz angeklagt. Beide starben noch zu DDR-Zeiten. Peter R. wies, erschüttert über den Tod des Flüchtlings, die Beförderung zurück, mit der er für die Schusswaffenanwendung ausgezeichnet werden sollte. Die ihm verliehenen Schulterklappen eines Gefreiten legte er nicht an. Das Landgericht Gera verurteilte nach dem Ende der DDR Peter R. und Klaus Dieter T. am 7. Oktober 1999 wegen mittäterschaftlich begangenen Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von jeweils zwei Jahren.