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Biografisches Handbuch

Peter Müller

geboren am 15. Mai 1944 in Gernrode | gestorben durch Minendetonation am 14. Juni 1964 | Ort des Vorfalls: nahe des Ortes Sorge im Harz (Sachsen-Anhalt)
Im Harz bei Sorge versuchten Peter Müller und sein drei Jahre älterer Freund Dieter Staadt aus der DDR zu flüchten. Sie bewegten sich mit größter Vorsicht in das Grenzgebiet und legten innerhalb der Grenzsicherungsanlagen nur kleine Wegstrecken, meist kriechend zurück. Zwischen den Grenzzäunen löste Peter Müller eine Mine aus, die ihn tödlich verletzte.

Peter Müller kam am 15. Mai 1944 in Gernrode, Sachsen-Anhalt, zur Welt. Zuletzt wohnte er in seinem Geburtsort, einer kleinen Ortschaft im Harz und arbeitete als Kraftfahrer beim VEB Kraftverkehr in Quedlinburg. In Gernrode lebte auch sein drei Jahre älterer Freund Dieter Staadt, mit dem er im Mai 1964 zum ersten Mal über eine mögliche Flucht aus der DDR und einen Neubeginn in der Bundesrepublik sprach. Zwischen Tanne und Elend, einer unübersichtlichen Gegend am Fuße des Brockens, wollten sie ihr Vorhaben umsetzen. Sie packten die nötigsten Dinge zusammen, darunter auch Drahtscheren, um mögliche Sperren überwinden zu können, und dunkle Kleidung, um sich zu tarnen. Am Samstag, dem 13. Juni 1964, gegen Mittag machten sich die beiden mit dem Motorrad von Dieter Staadt aus ihrem Heimatort Gernrode in Richtung Nordost auf den Weg. Sie kamen bis nach Wernigerode, wo sie wegen einer Reifenpanne das Motorrad auf einem Parkplatz zurückließen. Mit einem Bus fuhren sie weiter, nun in südliche Richtung, bis nach Königshütte. Von dort gingen sie zu Fuß weiter. Bis zum Dorf Elend mussten sie noch knapp sieben Kilometer zurücklegen. Kurz vor der Ortschaft verließen sie die Straße und schlichen im Schutz des Waldes weiter in Richtung Grenze.

Nach etwa drei Kilometern erreichten die beiden Freunde das Grenzsperrgebiet. Vom Waldrand aus konnten sie bereits die erste Drahtsperre in 200 Metern Entfernung sehen, die sie kriechend überwanden. Vorsichtig krochen sie nebeneinander her, bis sie an den ersten Grenzzaun gelangten und den unteren Spanndrahtungefähr um 22 Uhr mit ihren Drahtscheren durchtrennten. Plötzlich hörten sie Geräusche. Unter zwei kleinen Tannen fanden sie ein Versteck, in dem sie bis zur Morgendämmerung bis etwa 4 Uhr verharrten und die patrouillierenden Grenzposten und die Umgebung beobachteten. Dann bewegten sie sich vorsichtig auf die nächste Drahtsperre zu. Hier warteten sie bis etwa 9 Uhr. Als um sie herum alles ruhig zu sein schien, durchtrennten sie auch diese Drahtsperre und krochen nacheinander hindurch. Sie waren nun nur noch zehn Meter vom dritten und letzten Grenzzaun entfernt. Gleichzeitig befanden sie sich im gefährlichsten Teil der Grenzanlage, denn zwischen den beiden Grenzzäunen lag das Minenfeld. Peter Müller kroch als erster auf den Sandstreifen. Er drehte sich noch kurz zu seinem Freund um und raunte ihm zur Beruhigung zu: „Hier liegen keine Minen, die Minenschilder sind nur zur Abschreckung angebracht.“ Nur Sekunden später detonierte eine Mine des Typs PMD 6, eine sogenannte Antipersonenmine sowjetischer Bauart, die Peter Müller mit seinem Unterarm ausgelöst hatte. Die Wucht der Explosion schleuderte ihn drei Meter weit durch die Luft. Die Druckwelle warf auch Dieter Staadt zur Seite. Im Schockzustand sprang er auf und schrie seinen Freund panisch an, er solle aufstehen. Doch Peter Müller lebte nicht mehr. Seine linke Brustseite war aufgerissen, der Körper blutüberströmt. Nur wenige Augenblicke später trafen zwei Grenzsoldaten ein, die Dieter Staadt aufforderten, aus dem verminten Abschnitt herauszukommen und ihn festnahmen. Nach etwa 15 Minuten traf ein Krankenwagen ein. Dieter Staadt konnte noch sehen, wie die Grenzer versuchten, seinen toten Freund mit einer Hakenstange aus dem Minenabschnitt herauszuziehen. Ihn selbst brachten Grenzsoldaten zur Vernehmung in die Kaserne nach Elend. Die nächste Nacht verbrachte er im Gefängnis in Wernigerode, dann überführte man ihn in das Kreisgefängnis nach Aschersleben. Dort blieb er für drei Monate in Untersuchungshaft. Die DDR-Justiz verhängte gegen ihn wegen „versuchter Republikflucht“ eine Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren, die entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Berufungsverfahren bestätigte die höhere Instanz in Halle das Urteil. Nach seiner Entlassung musste sich Dieter Staadt im Ernteeinsatz bewähren und Aufbaustunden leisten. Im September 1965 gelang ihm gemeinsam mit einem befreundeten Paar im gleichen Grenzgebiet die Flucht in den Westen.

Auf Wunsch seiner Eltern erfolgte Peter Müllers Beisetzung in Quedlinburg. Der Staatssicherheitsdienst versuchte, sowohl eine Trauerfeier als auch die Teilnahme von Müllers Arbeitskollegen zu untersagen. Trotz dieses Verbotes begleiteten die meisten Arbeitskollegen Peter Müller auf seinem letzten Weg. Ein im Ort nicht bekannter Pfarrer nahm die Beisetzungszeremonie vor. Beobachter des Staatssicherheitsdienstes fotografierten alle Anwesenden. Mehrere von ihnen sahen sich in den folgenden Wochen einschüchternden Vernehmungen durch die Stasi ausgesetzt.

Das im Februar 1998 eröffnete Verfahren der Staatsanwaltschaft Dresden gegen den damals für die Minenverlegung verantwortlichen Kompaniechef der 7. Grenzbrigade Rudolf B. wurde wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.


Biografie von Peter Müller, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/127-peter-mueller/, Letzter Zugriff: 29.03.2024