Logo

Suche im Biographischem Handbuch

Biografisches Handbuch

Werner Krause

geboren am 27. Juli 1942 in Sorau (Polen) | erschossen am 10. Juni 1964 | Ort des Vorfalls: Unterloquitz, Ortsteil Döhlen, Kreis Saalfeld/Saale (Thüringen)
Der 21-jährige Werner Krause wollte kurz nach seinem dreijährigen freiwilligen Wehrdienst in der NVA zusammen mit zwei jüngeren Freunden in die Bundesrepublik flüchten. Auf dem Weg zur Grenze übernachteten sie in einer Scheune, wo sie von DDR-Grenzposten gestellt wurden. Werner Krause befolgte deren Anordnungen nicht vollständig und wurde erschossen.

Werner Krause wurde 1942 in Sorau/Niederlausitz geboren. Während sich sein Vater in französischer Kriegsgefangenschaft befand, zog die Mutter mit ihren vier Söhnen nach Seebach bei Eisenach – Werner war der drittjüngste, ein zarter Junge, der aufgrund der Entbehrungen in der Nachkriegszeit ständig kränkelte. Im September 1948 wurde er eingeschult, musste jedoch wegen eines Lungenleidens einen Monat später von der Schule genommen werden. Bis zu seinem 14. Lebensjahr musste er mindestens einmal jährlich mehrere Wochen zur Kur an die Ostsee. Dadurch stabilisierte sich sein Gesundheitszustand. Werner Krause verließ bereits nach dem Abschluss der 7. Klasse die Schule und erlernte den Beruf eines Uhrteilfertigers in der Seebacher Uhrenmaschinenfabrik. 1960 meldete er sich freiwillig für drei Jahre zur NVA, den Wehrdienst leistete er in Gotha und Erfurt.

Am 9. Juni 1964 fuhr Werner Krause zusammen mit dem 17-jährigen Peter T. und dem 19-jährigen Hans Z. in die Gegend von Probstzella, um von dort aus in die Bundesrepublik zu flüchten. Wie es in später angefertigten Stasi-Unterlagen heißt, „verherrlichten alle drei Jugendlichen die Verhältnisse in Westdeutschland und trugen sich seit längerer Zeit mit der Absicht, die DDR illegal zu verlassen“. Hans Z. habe die beiden anderen „zum beabsichtigen Grenzdurchbruch“ verleitet und behauptet, dass sie „bei Probstzella ohne Gefahr über die Grenze kommen würden“. Besondere Vorkehrungen für die Flucht hatten die drei jungen Männer offenbar nicht getroffen. Sie fuhren zunächst mit der Bahn nach Saalfeld und von dort mit dem Taxi weiter nach Kaulsdorf. Dann ging es zu Fuß weiter bis in das ca. zehn bis 15 Kilometer von der Grenze entfernte Dorf Döhlen, wo sie gegen 18 Uhr eintrafen. In einer Flaschenbierhandlung spielten sie mit dem Sohn des Inhabers Karten und tranken Bier. Auf ihre Bitte hin durften sie auf dem Heuboden der nahe gelegenen Scheune übernachten. Gegen Mitternacht wurde der örtliche Abschnittsbevollmächtigte (ABV) der Volkspolizei darüber informiert, dass sich in der Scheune drei Ortsfremde aufhielten, die sich nach dem Weg zur Grenze erkundigt hätten. Daraufhin informierte er die Grenztruppen in Probstzella, die Grenzalarm auslösten.

Eine aus zwei Unteroffizieren und drei Soldaten bestehende Alarmgruppe fuhr nach Döhlen, wo am Ortseingang der ABV auf sie wartete. Die drei Soldaten postierten sich um die Scheune, während der ABV mit den beiden Unteroffizieren die Scheune betrat. Bevor sie die Stiege zum Heuboden hochstiegen, entsicherten sie ihre Waffen. Oben angekommen befahl der ABV den schlafenden Jugendlichen aufzustehen und sich mit dem Gesicht zur Wand zu stellen. Schlaftrunken und noch unter Alkoholeinfluss kamen diese der Aufforderung nach. Der offensichtlich noch angetrunkene Werner Krause rutschte an der Scheunenwand wieder nach unten. Unteroffizier Rudolf R. forderte ihn erneut zum Aufstehen auf, was Krause auch tat. Dabei drehte er sich jedoch um und ging langsam leicht schwankend mit einer Bierflasche in der Hand auf den an der Treppe stehenden R. zu. Dieser befahl ihm stehenzubleiben, trotzdem kam Krause näher. Nach einem Warnschuss in die Decke des Heubodens schoss Rudolf R. mit seiner auf Dauerfeuer gestellten Kalaschnikow auf den ca. drei Meter entfernten Werner Krause. Drei Schüsse trafen diesen in den Bauch, woraufhin das Opfer sofort zu Boden stürzte und laut über ein Brennen in der Bauchgegend klagte. Später wimmerte er nur noch, bis auch das aufhörte.

Am Tag nach dem Verschwinden Werner Krauses meldete seine Mutter ihn bei der Polizei in Ruhla als vermisst. Dort bekam sie die Andeutung zu hören: „Wenn man einen Sohn hat, der drei Jahre in der Armee war und andere dazu verleitet in den Westen zu gehen.“ Später wurde Krauses Vater über den Tod seines Sohnes unterrichtet und die Leiche des Flüchtlings nach Eisenach überführt. Nach Rücksprache mit einem Mitarbeiter der Leichenhalle durften die Eltern zumindest das Gesicht ihres Sohnes noch einmal sehen. Trauerfeier und Verbrennung fanden zu einem vorher von den Behörden festgesetzten Zeitpunkt statt. Die Urne wurde nach Seebach überführt und beigesetzt. Die Kosten für die Überführung mussten die Eltern tragen.

In Berichten des MfS und der Grenztruppen wird abweichend von der späteren Darstellung des Landgerichts Gera behauptet, Werner Krause habe Unteroffizier R. mit der Bierflasche angegriffen, wodurch sich dieser in einer Notwehrsituation befunden hätte. Der damals 20-jährige Rudolf R., der zum ersten Mal an einem Alarmeinsatz teilgenommen hatte, erhielt „in Anerkennung und Würdigung seiner beispielhaften Dienstdurchführung“ die „Medaille für vorbildlichen Grenzdienst“. Vom 28. Oktober 1964 bis zum 28. Februar 1990 diente er bei einer Passkontrolleinheit des Staatssicherheitsdienstes.

Das Geraer Landgericht verneinte 1997 eine Notwehrsituation und kam zu dem Ergebnis, R. habe das Verhalten Krauses irrtümlich als Angriff interpretiert. Aber selbst im Fall eines tatsächlichen Angriffs „hätte der Angeklagte die Möglichkeit gehabt, diesen Angriff mit milderen Mitteln abzuwehren. Er hätte mit der Waffe quasi als Kolben auf den Angeklagten einschlagen können, um den Angriff des Geschädigten, der lediglich eine Bierflasche in der Hand hatte, abwehren zu können. […] Der Angeklagte hätte sogar einen Sprung zur Seite und das Entweichen des Geschädigten hinnehmen müssen. Ihm war nämlich bekannt, dass das Gebäude von Soldaten, die mit Schusswaffen bewaffnet waren, umstellt und Grenzalarm ausgelöst worden war. Es hätte somit gar keine Fluchtmöglichkeit für den Geschädigten bestanden.“ Dennoch ging das Gericht von einem minderschweren Fall des Totschlags aus und verurteilte Rudolf R. zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung.


Biografie von Werner Krause, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/126-werner-krause/, Letzter Zugriff: 21.12.2024