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Biografisches Handbuch

Bernd Ickler

geboren am 30. Juni 1945 in Pferdsdorf | getötet durch Minenexplosion am 4. November 1963 | Ort des Vorfalls: Pferdsdorfer Köpfchen, Abschnitt Hochgrund, südlich der Straße Pfersdorf nach Willershausen (Thüringen)
Einwohner des hessischen Grenzdorfes Willershausen hörten am 3. November 1963 eine Minendetonation. Am 7. November 1963 informierte eine Frau aus Willershausen die Polizei, sie habe durch einen Brief aus dem benachbarten DDR-Grenzort Pferdsdorf erfahren, dass zwei dort wohnende Jugendliche versucht hätten, über die Grenze zu flüchten. Dabei sei einem von ihnen ein Bein und ein Arm abgerissen worden. Der junge Mann namens Ickler sei später im Krankenhaus verstorben.

Einwohner des hessischen Grenzdorfes Willershausen hörten am 3. November 1963 eine Minendetonation. Am 7. November 1963 informierte eine Frau aus Willershausen die Polizei, sie habe durch einen Brief aus dem benachbarten DDR-Grenzort Pferdsdorf erfahren, dass zwei dort wohnende Jugendliche versucht hätten, über die Grenze zu flüchten. Dabei sei einem von ihnen ein Bein und ein Arm abgerissen worden.

Dem Grenzgebiet bei Pferdsdorf galt seit Frühjahr 1963 die besondere Aufmerksamkeit der Grenztruppen. Drei Jugendlichen aus dem Dorf war dort die Flucht nach Westdeutschland gelungen. Am 3. November 1963 gegen 21.40 Uhr vernahmen zwei Grenzsoldaten im Bereich des Abschnitts Pferdsdorfer Köpfchen Geräusche. Sie meinten, dass sich Personen aus Richtung Pferdsdorf zur Grenze bewegten. Da dichter Nebel herrschte, feuerten sie sieben Leuchtkugeln ab. Nachdem die Gegend in grünes Licht getaucht war, sahen sie im Nebel eine Person, die aus dem Grenzgebiet in Richtung Pferdsdorf rannte. Zehn Minuten später, gegen 21.50 Uhr, detonierte eine Mine im Abschnitt Hochgrund. Als die beiden Posten dort ankamen, bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Im Minengürtel lag eine schwer verletzte männliche Person. Durch die Leuchtkugeln alarmiert, eilte die Alarmgruppe der Kompanie zur Grenze, auch ein Zug wurde dorthin in Marsch gesetzt. Gegen 22.40 Uhr begab sich Leutnant Welker mit zwei Soldaten in eine minenfreie Gasse, um den Verletzten zu bergen. Aus den Papieren, die er bei sich trug, ging hervor, dass es sich um den 18-jährigen Bernd Ickler aus Pferdsdorf handelte, beschäftigt als Landmaschinenschlosser bei der MTS Mihla. Er wurde mit einer Plane ins Hinterland gebracht, dort durch den Regimentsarzt notdürftig versorgt und dann gegen 23.45 Uhr mit einem Sanitätsfahrzeug in das Kreiskrankenhaus Eisenach überführt. Als sein Begleiter wurde Dieter H. ermittelt und zu Hause festgenommen. Er sagte aus, Ickler habe im Laufe des Abends während einer Tanzveranstaltung im Kulturhaus mit anderen Jugendlichen getrunken und dort lauthals geäußert, er wolle „in den Westen abhauen“. Mehrere Jugendliche lehnten es ab, mit ihm zu gehen, nur er sei dazu bereit gewesen.

Bernd Ickler wuchs als Sohn eines Bauern in Pferdsdorf auf, wo er im nahe gelegenen Spichra die Grundschule und hernach die Polytechnische Oberschule in Creutzburg bis zur 10. Klasse besuchte. Er fiel in Russisch durch die Prüfung zur Mittleren Reife und erlernte nach Beendigung der Schule auf der MTS Mihla den Beruf des Landmaschinenschlossers. Angeblich sah man in seinem Elternhaus Westfernsehen. Ickler und sein engerer Freundeskreis mieden die politischen Veranstaltungen der FDJ im Ort. Das MfS ermittelte später, die Jugendlichen seien gegenüber älteren Personen „rechthaberisch und eigenwillig“ aufgetreten.

Dieter H. sagte in seiner Vernehmung, sein gleichaltriger Freund Bernd Ickler habe ihm mehrfach gesagt, er habe „die Schnauze voll und wolle abhauen“. Sie hätten oft darüber gesprochen, dass es in Westdeutschland „besser ist als hier“. Sie hätten außerdem keine Lust gehabt „zur Wehrmacht zu gehen“. Dieter H. war bereits ein Jahr zuvor bei einem Fluchtversuch ertappt worden. Er erhielt aber als 17-Jähriger lediglich einen richterlichen Verweis. Bernd Ickler habe ihm am Abend des Fluchtversuchs versichert, er wisse, wo keine Minen liegen. Seine Eltern hatten ein Kleefeld in der Nähe der Grenze. Als sie sich mitten in diesem Feld befanden, stiegen die Leuchtkugeln auf. Er habe dann auch einen Hund bellen gehört und zu seinem Freund gesagt, sie seien entdeckt worden, es habe keinen Zweck mehr weiterzugehen. Der aber antwortete, wenn man schon so weit gekommen sei, müsse man durchhalten. Dieter H. lief zurück nach Hause, sagte seiner Mutter, dass man hinter ihm her sei, legte sich ins Bett und löschte das Licht. Im Dunkeln hörte er Schüsse an der Grenze.

Bernd Ickler erlag am 4. November 1963 gegen 6 Uhr seinen Verletzungen. Sein abgerissenes Bein sowie Kleiderfetzen wurden am Vormittag aus dem Minengürtel geborgen. Der Leiter der Stasi-Operativ-Gruppe Börber meldete zur gleichen Zeit seinen Vorgesetzten nach Eisenach: „Es ist vorgesehen, die Angehörigen des Ickler dahingehend zu beeinflussen, dass die Leiche nach der Freigabe durch den Staatsanwalt in Eisenach eingeäschert wird. Falls die Angehörigen auf einer Bestattung der Leiche in Pferdsdorf bestehen, wird die Leiche erst unmittelbar vor der Beerdigung nach Pferdsdorf gebracht.“ Stasi-Informanten im Dorf würden die Stimmung unter den Bewohnern erkunden.

Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen erhielt am 4. Mai 1964 von der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter eine Mitteilung zum Fall Helmut [sic] Ickler. Es stehe fest, dass dieser „zwar bei einem Minenunfall schwer verletzt wurde, jedoch durch Selbstmord einige Wochen nach dem Unfall ums Leben gekommen ist“. Die Staatsanwaltschaft Erfurt klagte den ehemaligen Pionieroffizier der Grenztruppen Karl Einecke im Dezember 1997 an, „einen Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein“. Einecke hatte durch seine Pioniere das Minenfeld anlegen lassen, in dem Bernd Ickler seine tödlichen Verletzungen erlitt. Es kam jedoch zu keinem Gerichtsverfahren mehr, da der Beschuldigte 1998 verstarb.


Biografie von Bernd Ickler, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/119-bernd-ickler/, Letzter Zugriff: 29.03.2024