Die Grenzanlagen zwischen Schierke und Bad Harzburg waren 500 Meter breit. Zwischen zwei Sperrzäunen stieg das dicht bewaldete, von Gräben durchzogene Gelände um 200 Meter an. Bis hierhin war Peter Reisch am 5. Juni 1962 vorgedrungen. Es war kurz nach 18.30 Uhr an einem bewölkten kühlen Vorsommerabend. Als er Grenzsoldaten kommen hörte, versuchte er, sich in einem Gebüsch zu verbergen. Drei Monate zuvor war er aus der Bundesrepublik zurückgekehrt und hatte sich in Egeln angemeldet, wo seine Mutter und ein Onkel wohnten. Im Westen, in den er durch die bis zum 13. August 1961 offene Berliner Grenze gelangt war, hatte er als Kraftfahrer gearbeitet. Weil er mit einem größeren Betrag für einen von ihm verursachten Arbeitsunfall aufkommen sollte, zog er die Rückkehr in die DDR vor. Ausgestattet mit einem vorläufigen Personalausweis (PM 12) begann er, als Landarbeiter in einer LPG in Egeln zu arbeiten. Doch er sprach immer öfter davon, wieder in den Westen zu wollen. Vielleicht fühlte sich der 19-Jährige in seiner Familie nicht mehr heimisch. Mit dem Stiefvater soll es mehrmals Auseinandersetzungen gegeben haben.
Die Grenzposten Unterfeldwebel H. und Unteroffizier V. waren gerade auf dem Heimweg von einem Streifengang, als sie im Unterholz Geräusche wahrnahmen. Sie entdeckten den 19-jährigen Reisch und befahlen ihm aufzustehen. Dieser hob die Arme, ging einige Schritte rückwärts, drehte sich dann plötzlich um und begann wegzulaufen. Von Halt-Rufen und Warnschüssen alarmiert, eilte eine zweite Streife herbei. Peter Reisch lief genau auf den als Streifenführer eingesetzten Stabsgefreiten Fritz Ha. und den Soldaten S. zu. Die Männer waren nur zehn Meter voneinander entfernt, dann schlug der Flüchtling plötzlich einen Haken und rannte fast parallel zur Grenze auf ein Waldstück zu. Unterfeldwebel H. forderte Fritz Ha. durch Zurufe mehrmals auf, von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Nach einem Warnschuss feuerte Ha. aus einer Entfernung von etwa 120 Metern gezielt auf die rechte Schulter des Flüchtenden. Peter Reisch brach, in den Hinterkopf getroffen, sofort zusammen. Er blutete und verlor das Bewusstsein. Um ihn zu transportieren, stand nur ein Beiwagenkrad zur Verfügung, mit dem er durch unwegsames Gelände zunächst zur Grenzkompanie Schierke gebracht wurde.
Im Krankenhaus Wernigerode konnte sein Zustand zunächst stabilisiert werden. Die Mutter und der Onkel fanden ihn mit verbundenem Kopf und ansprechbar vor. Wie schlecht es um ihn stand, hatte man ihnen nicht gesagt. Vom Pflegepersonal erfuhr der Onkel, dass Peter Reisch eine offene Fraktur am rechten Hinterkopf hatte. Sieben Tage später stellte die Polizei das Ermittlungsverfahren gegen den Schwerverletzten ein, weil dieser in absehbarer Zeit nicht mehr vernehmungsfähig sein würde. Am 12. Juli muss sich die Verletzung so sehr verschlimmert haben, dass man Peter Reisch in die Medizinische Akademie nach Magdeburg überführte. Die Ärzte diagnostizierten dort eine Entzündung im verletzten Bereich des Gehirns (Hirnabszess). Einen Tag später starb Peter Reisch.
Fritz Ha. wurde vom Bataillonskommandeur für seine vorbildliche Pflichterfüllung gelobt, doch ihm war klar, dass der Flüchtling weder ein Agent noch ein Verbrecher war. In der Kompanie verbreitete sich bald die Nachricht vom Tod Peter Reischs. Fritz Ha. fühlte sich in seiner Uniform nicht mehr wohl. Am 3. Februar 1963 gelang ihm die Fahnenflucht in die Bundesrepublik.
Die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter hatte bereits Vorermittlungen zu dem Zwischenfall aufgenommen. Aufgrund der Aussagen von geflüchteten DDR-Grenzern und weiteren Informationen wurde Fritz Ha. überführt und am 29. März 1963 verhaftet. Er hatte seine Tat während des Aufnahmeverfahrens im Westen verschwiegen. Am 11. Oktober 1963 wurde er im ersten bundesdeutschen Gerichtsverfahren gegen einen DDR-Grenzsoldaten wegen versuchten Totschlags zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt.