Eine Frau aus Ilmenau in Thüringen wandte sich im Januar 1972 an den Generalstaatsanwalt in Berlin. Ihr Sohn Harald Grau, geboren am 4. März 1952 in Ilmenau, Matrose bei der Volksmarine in Warnemünde, war seit Ende Juni 1971 spurlos verschwunden.
Es kam zu einer persönlichen Unterredung mit einem Militärstaatsanwalt, der aus Berlin nach Ilmenau reiste. Dieser hatte jedoch keine konkreten Hinweise im Gepäck, sondern nur vage Auskünfte. Das Schiff, auf dem Harald Grau als Signäler tätig war, lag zu der Zeit in der Lübecker Bucht und es wären wohl nur 400 Meter gewesen, um in die westlichen Gewässer zu gelangen. Am 26. oder 28. Juni 1971 soll Grau in der Zeit von 1:30 Uhr bis 3:30 Uhr allein von Bord gegangen sein.
Die Mutter unternahm weitere Schritte, um das Schicksal ihres Sohnes aufzuklären: Über Bekannte in der Bundesrepublik ließ sie einen Suchantrag beim Deutschen Roten Kreuz, Suchdienst Hamburg, stellen. Das DRK leitete die Anfrage im Januar 1974 an die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen (ZESt) in Salzgitter weiter. Ergebnisse dieser Anfragen liegen nicht vor.
Auch die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) hat sich mit dem Fall Grau befasst und kam zu der Einschätzung, dass es sich um die Fahnenflucht eines Grenzpolizisten handelte und dass dieser vom Boot gesprungen und ertrunken sei. Welche Ermittlungsschritte zu diesen Annahmen führten, ist nicht bekannt und auch nicht, ob die ZERV konkrete Anhaltspunkte für den Ertrinkungstod hatte.
In keinem zu dem Fall bekannten Dokument konnte der Leichenfund von Harald Grau Bestätigung finden. Jedoch könnte die Bergung einer männlichen Leiche im Oktober 1971 nordöstlich von Rügen aus dem Datensatz dieses Forschungsprojektes zu dem Fall passen: Sie wurde am 29. Oktober 1971 in der Ostsee – außerhalb der Hoheitsgewässer der DDR – mit dem Schleppnetz des Fischkutters SAS 71 der FPG Saßnitz geborgen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Strömung die Leiche nach vier Monaten aus der Lübecker Bucht hierhergetrieben hatte. Aus dem Protokoll sowie dem Sachstandsbericht des VPKA Rügen zum Fund des unbekannten Leichnams geht hervor, dass der Fäulnisprozess sehr weit fortgeschritten war und sich daher keine besonderen Identifikationsmerkmale feststellen ließen. Das Alter der Leiche wurde auf 20 bis 30 Jahre geschätzt, als vermutliche Todesursache der Tod durch Ertrinken festgestellt und eine Liegezeit von drei bis vier Monate angenommen. Diese Daten stehen durchaus in Einklang mit dem Zeitpunkt des Verschwindens von Harald Grau und das geschätzte Alter deckt sich annähernd. Noch stärkere Indizien für eine Übereinstimmung ergeben sich durch die Hinweise zur Bekleidung. Es handelte sich um ein kleidähnliches Hemd aus grobem Leinen mit hellblauen Ärmeln, Kragen und Brusttaschenaufsätzen. Unter Beruf wurde festgehalten: nicht bekannt, vermutlich Seemann.
Die Leiche wurde als unbekannter Toter in Sassnitz erdbestattet. Vermutlich hat die Mutter von Harald Grau nie davon erfahren, dass es sich um ihren toten Sohn handeln könnte.