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Biografisches Handbuch

Friedhelm Hohmann

geboren am 9. Mai 1961 | erfroren zwischen dem 6. und 9. März 1980 | Pośredni Goryczkowy Wierch (Berggipfel), unmittelbar an der Grenze zur ČSSR In der Westtatra, Karpaten
Am 9. März 1980 stießen Skifahrer in der Westtatra bei Zakopane im Raum des Pośredni Gorczykowy Wierch, einem 1.874 Meter hohen Berg in unmittelbarer Nähe zur ČSSR-Grenze, auf eine männliche Leiche. Erst fünf Jahre später stellte sich heraus, dass es sich bei dem Toten um den 18jährigen Friedhelm Hohmann aus Halle-Neustadt handelte, der von Polen aus über die ČSSR und Österreich in die Bundesrepublik flüchten wollte und dabei erfror.

Friedhelm Michael Nowack (später Hohmann) erblickte am 9. Mai 1961 als Kind von Rose Dietlinde Nowack, geborene Furch, und Peter Wilhelm Fritz Nowack in Halle (Saale) das Licht der Welt. Seine Eltern hatten im Jahre 1960 im Standesamt Bad Dürrenberg ihre Ehe geschlossen. Über die Kindheit und Jugend von Friedhelm Nowack ist nicht viel bekannt. Sicher ist nur, dass sich seine Eltern wieder scheiden ließen und das Sorgerecht der Mutter zugesprochen wurde. Sie heiratete 1966 ein zweites Mal, und Friedhelm Nowack trug nun aufgrund einer Erklärung der Sorgeberechtigten mit Wirkung vom 14. Oktober 1966 den Nachnamen seines Stiefvaters Dieter Hohmann.

Nach dem Abschluss der 10. Klasse begann Friedhelm Hohmann eine Lehre als Instandhaltungsmechaniker in der VEB Gebäudewirtschaft Halle-Neustadt. Am 20. August 1978, noch während seiner Lehrzeit, wurde Hohmann wegen Diebstahls persönlichen Eigentums und unbefugter Benutzung eines Kraftfahrzeuges (§§ 126, 201) festgenommen und vom Volkspolizeikreisamt (VPKA) Merseburg in die Untersuchungshaftanstalt Halle überführt. Am 13. Juli 1979 verurteilte ihn das Kreisgericht Merseburg wegen dieser Straftaten. Durch rechtskräftigen Beschluss des Kreisgerichts Merseburg vom 2. November 1979 wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Nach seiner Entlassung aus der Haft habe Friedhelm Hohmann nicht mehr ein noch aus gewusst und Anfang Januar eine Überdosis Schlaftabletten genommen, erklärte sein Stiefvater in einem persönlichen Gespräch vermutlich mit einem Vertreter des Kreisgerichtes Merseburg. Als er am 15. Januar 1980 aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte, wollten ihn seine Großeltern, bei denen er zu diesem Zeitpunkt lebte, nicht mehr aufnehmen. Laut Aussage des Stiefvaters hatte Friedhelm Hohmann zwar einen Wohnungsantrag gestellt, doch keine Wohnung in Aussicht. Sein behandelnder Arzt wollte deshalb versuchen, ihn in einem Wohnheim in Halle unterzubringen. Am 7. Februar 1980 widerrief die Strafkammer des Kreisgerichts Merseburg die gewährte Strafaussetzung auf Bewährung. Hohmann hätte somit wieder ins Gefängnis gemusst, doch er entzog sich dem Zugriff der Justiz und floh nach Warschau.

Am 21. Februar 1980 teilte sein Ausbildungsleiter, Ing.-Päd. Maurer, dem Kreisgericht Merseburg mit, dass Hohmann seit dem 11. Februar 1980 unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben und auch in der elterlichen Wohnung nicht aufgetaucht sei. Auch zwei Monate später fehlte noch immer jede Spur von ihm, worüber der Kaderleiter der VEB Gebäudewirtschaft die Staatsanwaltschaft informierte. Sowohl dem Betrieb als auch den Angehörigen war Hohmanns Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Mit Schreiben vom 10. Juni 1980 meldete sich nun auch der Betriebsdirektor des VEB Gebäudewirtschaft, Fiedler, beim Staatsanwalt und gab an, dass sich Hohmanns Fehlen im Zeitraum vom 11. Februar bis 9. Juni während 83 Arbeitstage von jeweils 8,75 Stunden zu insgesamt 726,25 Stunden Arbeitsbummelei summiert habe. Fiedler fragte bei der Staatsanwaltschaft an, ob Hohmann eventuell inhaftiert sei und falls ja, ab wann. Doch was niemand wissen konnte: Friedhelm Hohmann war zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Monaten tot.

Am 9. März 1980 stießen Skifahrer auf der Südseite des 1.874 Meter hohen Pośredni Goryczkowy Wierch, etwa 150 Meter unterhalb des Grates, links von der Lavinenlinie, auf eine Leiche. Sie meldeten dies einem Angestellten der Polnischen Seilbahnen, der umgehend seine Kollegen vom Bergrettungsdienst benachrichtigte. Am Fundort der Leiche angekommen stellten diese fest, dass es sich bei dem Toten nicht um einen Wintersportler handeln konnte, denn er trug keine Wintersportbekleidung oder Bergschuhe, sondern lediglich Lederjacke, Pullover und Flanellhemd sowie Halbstiefel aus Leder. Da er zudem keine persönlichen Dokumente bei sich führte, konnte er zunächst nicht identifiziert werden. Lediglich eine Rechnung aus dem Restaurant “Orbis“ vom 6. März 1980 ließ vermuten, dass es sich nicht um einen polnischen Bürger handelte, da diese Restaurant- und Hotelkette in Polen überwiegend ausländische Gäste beherbergte. Die Leiche wurde nach Kuznice, einem Stadtteil von Zakopane, abtransportiert. Nach der Leichenschau durch die dortige Miliz wurde sie in das Städtische Leichenhaus gebracht. Am 14. April 1980 stellte das Standesamt Zakopane unter der laufenden Nummer 180 die Sterbeurkunde für den Unbekannten aus. Bereits drei Tage später, am 17. April 1980, wurde er auf dem Pfarrfriedhof in Zakopane beigesetzt.

Noch 1985 war die Identität des Toten ungeklärt. Da nicht auszuschließen war, dass es sich um einen DDR-Bürger handelte, gab die beim Ministerium des Innern der DDR ansässige Zentralstelle für Kriminalistische Registrierung (ZSKR) im März 1985 ein Fahndungsblatt heraus. Auf dieser „Kriminalistischen Information Nr. 7/85“ war das Gesicht der aufgefundenen Leiche abgebildet, zudem eine Beschreibung von Körper und Bekleidung sowie eine Auflistung der mitgeführten Gegenstände. Laut Fahndungsblatt war das geschätzte Alter des Toten zwischen 22 bis 27 Jahren, er war 180 cm groß und schlank, sein Haar dunkelblond, er trug einen Oberlippenbart und hatte eine Blinddarmoperationsnarbe. Seine Bekleidung war genau beschrieben: „Jacke aus schwarzem Kunstleder mit schwarzem Kunstfellkragen und beigem, ausknöpfbarem Kunstfellfutter; aschgraue Strickjacke mit Knöpfen; Strickjacke vorn rot gemustert mit schwarzen Streifen; dunkelblaue Jeanshose; graubraune Hose, Fischgrätenmuster; grünes Hemd mit Firmenbezeichnung ‚Polanex-Oniezno‘, auf der Tasche des Hemdes ist ein rundes Emblem mit schwarzem Adler und Aufschrift ‚Bundesrepublik Deutschland‘, auf dem Emblem sind zwei Metallabzeichen mit den Flaggen der USA bzw. Großbritannien[s]; lange, graublaue Unterhose; Trägerunterhemd, weiß-braun gemustert; schwarze Kosackenstiefel, an der Seite mit Reißverschluß; schwarze Elastiksocken.“ Er habe einen verchromten Armreifen getragen, an dem eine Kette mit dem Emblem der Flagge der Bundesrepublik befestigt war und um seinen Hals eine Kette mit einem kleinen gelben Kreuz. Ein Medaillon mit Brustbild von Kaiser Franz Joseph I. befand sich ebenfalls unter den aufgefundenen Gegenständen.

Alle Personen, die vor dem 9. März 1980 zur Fahndung ausgeschrieben waren, sollten nun überprüft werden. Lediglich diejenigen, bei denen begründete Hinweise auf den Aufenthaltsort vorlagen oder für die ein „KP 3“, eine Kartei zu vermissten Personen oder unbekannten Toten, an die ZSKR übersandt worden war, waren davon ausgenommen. Hinweise zur Identifizierung der Leiche sollten bis zum 20. Juni 1985 der ZSKR übermittelt werden. Da auch nach Hohmann noch wegen der Verbüßung seiner Reststrafe gefahndet wurde, konnte die Identität des unbekannten Toten bald geklärt werden. Bereits am 3. Juni 1985 informierte der Leiter der Zentralstelle für Kriminalistische Registrierung, Oberst Ballschmieter dem Leiter der Abt. V, Oberstleutnant der Kriminalpolizei Rietzschel, dass im Bezirk Halle Hinweise erarbeitet werden konnten, die zur Identifizierung der Leiche geführt hatten. So habe Lieselotte B., die Großmutter Friedhelm Hohmanns, ihn auf dem Foto als ihren Enkel identifiziert. Auch Ronald H., ein Bekannter Hohmanns, erkannte in ihm einen kurzzeitigen Reisegefährten. Beide hatten sich im Februar 1980 in Warschau kennengelernt. H., ebenfalls Bürger der DDR, war am 9. Februar 1980 nach Polen gereist und hielt sich dort bei verschiedenen Bekannten auf. Hohmann und H. verbrachten einige Zeit miteinander, bevor sich am 2. März 1980 ihre Wege wieder trennten. Laut Ronald H. hatte Hohmann die Absicht, in die Bundesrepublik zu flüchten, um sich der Verbüßung seiner Reststrafe zu entziehen. Er habe ihm gesagt, dass er dies entweder über Gdansk-Gdynia, also über die Ostsee, oder über die ČSSR und Österreich versuchen wolle, gab Ronald H. bei seiner Befragung durch die Kriminalpolizei in der Untersuchungshaftanstalt Leipzig an. Er befand sich dort wegen eines Betrugsdeliktes.

Da die Merseburger Volkspolizei bei der Festnahme Hohmanns am 20. August 1978 seine Fingerabdrücke archiviert hatte, konnte die Leiche im Abgleich mit den polnischen Daten nun eindeutig identifiziert werden. Friedhelm Hohmann hatte tatsächlich versucht, wie er es Ronald H. angekündigt hatte, von Polen über die Tatra in die ČSSR zu gelangen und von dort aus weiter über die Grenze nach Österreich in den Westen zu fliehen. Doch für eine Durchquerung der Tatra im Winter bei Schnee und Kälte war er nicht ausgerüstet. Auf der Südseite des Pośredni Goryczkowy Wierch in unmittelbarer Nähe zur ČSSR-Grenze ist er erfroren.

Nach der Identifizierung des Toten erklärte seine Mutter der Kriminalpolizei in Halle, sie sei an einer Überführung der sterblichen Überreste ihres Sohnes nicht interessiert. Noch heute liegt Friedhelm Hohmann gemeinsam mit zwei weiteren Personen, in einem Grab auf dem Friedhof in Zakopane, einem ebenfalls unbekannten Toten und Kazimiera Hajduk, geboren 1912, gestorben im Jahre 1992. Die Grabstätte befindet sich in einem schlechten Zustand. Eine Tafel weist lediglich auf Kazimiera Hajduk hin. Warum der Name Friedhelm Hohmanns nicht nachträglich hinzugefügt wurde, ist nicht bekannt.


Biografie von Friedhelm Hohmann, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/448-friedhelm-hohmann/, Letzter Zugriff: 21.11.2024