Der aus Meiningen im Bezirk Suhl stammende Jens Holger Liedtke arbeitete als Maurer im VEB Seehafen Rostock und wohnte in Rostock-Evershagen. Als er sich entschloss, im August 1987 über die Ostsee zu fliehen, war er 20 Jahre jung. Was ihn zu diesem Schritt bewog, ist unklar. Er hatte einen Bruder, seine Verbindungen in die Heimat waren aber wohl nicht mehr allzu stark, obwohl er hier noch hauptwohnsitzlich gemeldet war.
Am Samstag, den 8. August, begab er sich nach Boltenhagen. In seinen grünen Leinenrucksack hatte er ein Paar Schwimmflossen gepackt, zudem führte er ein Kinderbadeboot bei sich. Diese Utensilien erregten am Abend die Aufmerksamkeit der Volkspolizei in Boltenhagen, die ihn wegen des Verdachts einer Straftat gemäß § 213 StGB im Volkspolizeikreisamt in Grevesmühlen verhörte. Den Verdacht des ungesetzlichen Grenzübertritts konnte er entkräften und daher entließen die Polizisten Liedtke am nächsten Tag gegen 12.15 Uhr von der Dienststelle in Grevesmühlen.
Den nächsten Fluchtversuch unternahm er noch am selben Tag – diesmal jedoch von Rerik aus. An der Steilküste bei Rerik/Meschendorf fanden Urlauber am Morgen des 10. August den grünen Leinenrucksack von Jens Liedtke. Sein Betriebsausweis wurde im Rucksack gefunden, von den Schwimmflossen und dem Boot fehlte jede Spur. Am Folgetag wurde Liedtke für die Bezirke Rostock und Suhl zur Fahndung ausgeschrieben.
Gut zwei Wochen später, am 30. August 1987, fand ein Angehöriger der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland am Strand der Garnison Wustrow eine Leiche im Wasser treibend. Der Leichnam war mit einer schwarzen Badehose, einem grauen Pullover und einer blauen Dederonjacke bekleidet und hatte Schwimmflossen an den Füßen. Später identifizierten die Eltern die Leiche als Jens Liedtke.