Nach der gemeinsamen Einschulung an der Polytechnischen Oberschule „W. I. Lenin“ in Halle-Neustadt schlossen Uwe Fleischhauer und Heiko Runge schnell Freundschaft. Uwe mochte an Heiko seine lustige, lebensfrohe Art und auch, dass er manchmal sehr spontan sein konnte. Bis zur 4. Klasse brachten die beiden Freunde gute Noten nach Hause. Dann wurden ihre Leistungen zusehends schlechter. Mit den schulischen Problemen nahmen auch die Auseinandersetzungen mit den Eltern zu. Heiko war zu Hause einem ständigen Vergleich mit seiner Schwester, einer sehr guten Schülerin, ausgesetzt. Da der Vater bereits verstorben war, lebten die Geschwister bei ihrer Mutter.
Die beiden Zehntklässler Heiko und Uwe verbrachten viele gemeinsame Nachmittage und stromerten durch die Gegend. Ob sie ihre Schulabschlüsse und damit auch den Eintritt in eine Ausbildung erfolgreich meistern würden, war zu diesem Zeitpunkt ungewiss.
Die beiden Schulfreunde hatten sich schon des Öfteren darüber ausgetauscht, gemeinsam die DDR, ihre Heimat, und ihre Elternhäuser zu verlassen. Uwe Fleischhauer wollte gerne nach Frankreich. Sein großer Traum war es, dieses Land kennenzulernen. Bereits zuvor hatte er einen Fluchtversuch unternommen, den er allerdings aufgeben musste, weil von der Zwischenstation in Nordhausen kein Zug mehr zur Grenze nach Benneckenstein fuhr. Am 7. Dezember 1979 schmiedeten die beiden 15-Jährigen einen Fluchtplan für den nächsten Tag. Diesmal sollten sie von nichts aufgehalten werden, sie bereiteten sich akribisch vor. In den frühen Morgenstunden des 8. Dezember 1979 ging Heiko Runge zu Uwe Fleischhauer. Gegen 7 Uhr fuhren sie mit einem Taxi zum Hauptbahnhof in Halle und stiegen in den Zug Richtung Harz. Uwe Fleischhauer kannte den dortigen Grenzverlauf einigermaßen von einem Familienausflug, der allerdings schon zwei Jahre zurücklag. Mehr als 100 Kilometer legten die beiden Freunde über Nordhausen bis nach Benneckenstein zurück. Zwischen Halle und Nordhausen erfolgte eine Ausweiskontrolle durch die Transportpolizei, von der sie aber nach ihrer Äußerung, sie wollten Verwandte in Nordhausen besuchen, nicht weiter behelligt wurden. So konnten sie ihre Fahrt fortsetzen und kamen gegen 9.45 Uhr in Nordhausen an, wo sie zur Weiterfahrt auf die Harzquerbahn warteten. Diese Schmalspurbahn verbindet seit 1896 das thüringische Nordhausen mit Wernigerode in Sachsen-Anhalt. Um 11.41 Uhr fuhr der Zug in Richtung Benneckenstein los, gegen 13 Uhr kamen sie dort an und machten sich sogleich zu Fuß, entlang der Bahnlinie, auf den Weg zur Grenze. Die beiden Jugendlichen hatten sich für ihr Vorhaben bestens ausgestattet: Sie hatten warme Sachen, mehrere Konserven und Besteck, ein Fahrtenmesser, Zigaretten und einen Erdbeerwein in ihren Rucksäcken. Außerdem trugen sie einen Reiseatlas, ein Radio sowie Bücher und Zeitungen bei sich.
Heiko Runge und Uwe Fleischhauer bewegten sich mit einem Kompass durch das Grenzgebiet bei Sorge. Die Temperatur lag bei 10 bis 12 °C, es war neblig und ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Unterwegs überquerten sie eine Straße, an der ein Schild mit der Aufschrift „Sperrzone“ stand. Die beiden Freunde wussten, dass vor dem Grenzzaun Minen lagen, die größte Angst hatten sie jedoch vor den Grenzposten. Gegen 15 Uhr gelang es ihnen, einen Signalzaun zu überwinden, indem sie die Drähte auseinanderbogen und hindurchstiegen. Allerdings bemerkten sie nicht, dass sie dabei einen Alarm ausgelöst hatten. Die Grenzkompanie setzte ihre Alarmgruppe in Marsch und postierte entlang des Kolonnenweges im Abstand von 150 Metern insgesamt sechs Postenpaare. Hinter einem Erdwall lauerten zwei Soldaten, die die beiden Schüler gegen 16 Uhr nahe der Buchenwaldschlucht entdeckten. Die beiden Jugendlichen waren jetzt nur noch 100 Meter von der Grenze entfernt. Sie ignorierten die Aufforderung, sofort stehenzubleiben und die Hände zu heben. Stattdessen liefen sie weiter in Richtung Grenzzaun. Daraufhin lud einer der Posten bereits seine Waffe durch. Die Flüchtenden rannten in gebückter Haltung in ein angrenzendes Waldgebiet. Nach einem ersten Warnschuss trennten sie sich im Wald. Nun schossen die Posten gezielt. Nach den ersten Schüssen und erneuten Aufforderungen, sofort stehenzubleiben, warf sich Uwe Fleischhauer flach auf den Erdboden. Heiko Runge kehrte um und rannte zurück in Richtung Hinterland. Bevor er ein schützendes Dickicht erreichen konnte, traf ihn eine Kugel in den Rücken.
Die beiden Grenzposten hatten insgesamt 51 Schüsse Dauerfeuer aus ihren Maschinenpistolen abgefeuert. Die beiden Schüler lagen nun, nur wenige Meter vom Kolonnenweg entfernt, auf dem Boden. Heiko Runge rührte sich nicht mehr. Ein herbeigeeilter Hauptmann der Grenztruppen stellte den Tod des 15-Jährigen fest. Als der 23-jährige Grenzer Claus M. das hörte, warf er entsetzt seine Waffe weg und brach in Tränen aus. Immer wieder stammelte er: „Warum sind die denn nicht stehengeblieben?“
In einem späteren Untersuchungsbericht der Grenztruppen hieß es, dass aufgrund der versuchten Flucht, der unberücksichtigten Anrufe und Warnschüsse und angesichts der Tarnungs- und Deckungsmöglichkeiten im Gelände sowie der sich verschlechternden Sichtverhältnisse „die gezielte Feuerführung richtig und zweckmäßig“ war. Zudem sei es für die Grenzposten nicht möglich gewesen, das Alter der Flüchtenden zu bestimmen. Gleichwohl folgte die Feststellung „aus politisch-operativer Sicht“, dass „der versuchte Grenzdurchbruch und die Festnahme […] ohne gezielte Feuerführung zu verhindern gewesen wäre“. Die Schützen erhielten für ihre „hohe Wachsamkeit, Entschlusskraft und Konsequenz“ dennoch die „Medaille für vorbildlichen Grenzdienst“.
Im Bericht des Instituts für Gerichtliche Medizin in Magdeburg vom 9. Dezember 1979 findet sich der Vermerk „Brustkorbdurchschuß mit ausgedehnter Lungenverletzung“. Am 10. Dezember 1979 gab Heiko Runges Mutter eine Vermisstenanzeige auf. Daraufhin wurde ihr ohne nähere Angaben erklärt, dass ihr Sohn bei einer Aktion in der Nähe eines russischen Sperrgebietes in Halle ums Leben gekommen sei. Sie war völlig fassungslos, begann zu weinen und konnte sich nicht beruhigen. Eine Ärztin verabreichte ihr ein Beruhigungsmittel. Heiko Runges Leichnam wurde am 11. Dezember 1979 von Magdeburg nach Halle überführt. Wie üblich wurde der Sarg an vier Stellen verschraubt. Dieser Sarg jedoch, in dem ein an der Grenze erschossener 15-Jähriger lag, war mit sechs zusätzlichen Nägeln gesichert. Als die Fahrer des Leichentransportwagens ihre Personalien vorlegen mussten, wunderten sie sich, „was es denn mit der geheimnisvollen Leiche auf sich habe, wenn nicht einmal der Name bekanntgegeben worden ist“. Am 12. Dezember 1979 musste die Mutter ihren toten Sohn Heiko in der Gerichtsmedizin in Halle identifizieren. Erst 20 Jahre später, nach der Wiedervereinigung, sollte sie erfahren, dass ihr Sohn bei einem Fluchtversuch ums Leben kam.
Eine Mitarbeiterin des Standesamtes der Stadt Halle weigerte sich zunächst, in den Totenschein als Sterbeort Halle-Neustadt einzutragen. Auf Veranlassung des Staatssicherheitsdienstes beurkundete das dortige Standesamt aber schließlich doch diesen Sterbeort. Heiko Runges Mutter und seine Schwester mussten sich gegenüber der Stasi verpflichten, nicht mit Dritten über das tragische Unglück zu sprechen. Das MfS hatte vorgesehen, die Mutter – möglichst von einem IM – betreuen zu lassen. Eine Todesanzeige durfte nicht erscheinen. Für die Darstellung gegenüber Mitschülern, Lehrern, Freunden und Bekannten gab die Staatssicherheit die lapidare Sprachregelung vor, Heiko Runge sei bei der Durchführung einer Straftat tödlich verunglückt. Auch mehrere Lehrer Heiko Runges gaben Schweigeverpflichtungen gegenüber dem Staatssicherheitsdienst ab. Die Urnenbestattung erfolgte in aller Eile, den Kreis der Trauernden hielt die Stasi so klein wie möglich. Mitschüler Heiko Runges durften ihm nicht das letzte Geleit geben. Bis zum 18. Dezember 1979, dem Bestattungstermin, sollte die Auszahlung einer bestehenden Kinderunfallversicherung des 15-Jährigen in Höhe von 1 000 Mark zur Deckung der Beerdigungskosten erfolgen.
Der festgenommene Freund Uwe Fleischhauer wurde nach einer ersten Vernehmung in die Magdeburger Untersuchungshaftanstalt des Staatssicherheitsdienstes eingeliefert. Im späteren Gerichtsverfahren erhielt er eine Freiheitsstrafe von einem Jahr. Erst nach acht Monaten, als er freigelassen wurde, erfuhr er, dass sein Freund Heiko nicht mehr lebte.
Im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen in den 1990er Jahren sagte einer der Schützen aus, er habe gewusst, dass der Schießbefehl rechtswidrig gewesen sei, man könne nicht „einfach einen Menschen abknallen, der zur anderen Seite will“. Sein damaliges Handeln erklärte er damit, dass er aufgeregt gewesen sei und nicht wollte, „daß die da jetzt durchkommen und [er] dann bestraft werde“. Sein Kompaniechef habe ihnen mehrfach eingeschärft, „der Warnschuß geht mindestens durch die Mütze!“ Die Staatsanwaltschaft wertete das Tötungsdelikt als Exzeßfall und beantragte für den Postenführer Jürgen A., der den Schusswaffengebrauch befahl, eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Im Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 29. Mai 1996 heißt es, die Angeklagten haben „einen anderen Menschen getötet und damit seines Rechtsgutes ‚Leben‘ beraubt, welches das höchste überhaupt ist, weil Menschen ohne Leben als solche nicht existieren“. Die Richter verhängten dafür eine Bewährungsstrafe von 14 Monaten für den Postenführer Jürgen A., der den Schießbefehl gab, und für den zweiten Schützen Claus M. eine Haftstrafe von einem Jahr, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die ZDF-Dokumentation “Tödliche Grenze” enthält nachgestellte Szenen und Zeugenaussagen zu den Todesfällen von Heiko Runge und Nikolai Gal. Über das Schicksal von Heiko Runge und die späteren Stellungnahmen von beteiligten DDR-Grenzern und MfS-Mitarbeitern berichtete Spiegel TV.