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Biografisches Handbuch

Klaus Seifert

geboren am 14. März 1953 in Bibra | gestorben am 4. Mai 1971 an den Folgen einer Minenverletzung vom 9. April 1971 | Ort des Vorfalls: Grenzabschnitt bei Schwickershausen, Kreis Meiningen (Thüringen)
BildunterschriftKlaus Seifert
BildquelleZERV
Quelle: ZERV
Der 18-jährige Maurer Klaus Seifert wurde beim Versuch, die Grenzanlagen zwischen Thüringen und Bayern zu überwinden, von einer Bodenmine schwer verletzt. Er starb an einer Gasbrandinfektion im Krankenhaus in Würzburg.

Klaus Werner Karl Seifert hatte 1967 die Polytechnische Oberschule mit der 7. Klasse abgebrochen und in der PGH Baunebengewerbe Landsberg eine Ausbildung als Maurer aufgenommen. Nach der Gesellenprüfung im Juni 1970 blieb er in dem in Meiningen ansässigen Betrieb und holte den Abschluss der 8. Klasse in der Volkshochschule nach. Nach Hause, ins nahe gelegene Bibra, wird er mit seinem Motorrad gefahren sein, mit dem er auch an Motocross-Rennen teilnahm. Dort wohnten die Eltern, Zimmerer der örtlichen LPG und seine Freundin, die ein Kind von ihm erwartete. Klaus Seifert dachte bereits seit längerer Zeit daran, in die Bundesrepublik zu flüchten. Mit Eintritt seiner Volljährigkeit wollte er sein Ziel in Angriff nehmen. Im März 1971, gerade 18 geworden, musste er beim Wehrkreiskommando in Meiningen zur Musterung antreten. Da er wehrtauglich war, versuchten die Offiziere, ihn zu einer dreijährigen Verpflichtung zu überreden, die er als Soldat auf Zeit bei den Grenztruppen im Raum Meiningen ableisten sollte. Eine solche Verpflichtung lehnte er jedoch ab.

Auf einer Tanzveranstaltung weihte Klaus Seifert am 4. April 1971 seine Freunde Karl F. und Klaus F. in seine Fluchtabsicht ein. Gemeinsam planten sie, den nur acht Kilometer von Bibra entfernt verlaufenden Grenzabschnitt zwischen Thüringen und Bayern zu überwinden. Mit einem Wurfanker und einem Seil wollten sie, sich von Zaun zu Zaun hangelnd, das Minenfeld überwinden. Als sie am späten Abend des 8. April 1971 aufbrachen, hatte sich Karl F. bereits zum Bleiben entschlossen. Klaus Seifert und Klaus F. gelangten gegen 23 Uhr bei Schwickershausen ins Grenzgebiet. Mehrere Stunden beobachteten sie eine Kaserne der Grenztruppen und das Gelände bis zur Grenze hin. Am nächsten Morgen, nach 4 Uhr, unterkrochen sie den ersten Signalzaun, robbten über ein Feld und kamen an den durch einen Doppelzaun gesicherten Minengürtel. Die Gefahr abschätzend, entschied sich Klaus F. umzukehren, denn die beiden Zaunreihen waren zu weit voneinander entfernt, um sie mit Seil und Wurfanker verbinden zu können. Er konnte das Sperrgebiet wieder ungehindert verlassen. Klaus Seifert bewegte sich hingegen weiter westwärts. Als er einen Pfiff hörte, glaubte er sich entdeckt und rannte kurzentschlossen auf den Doppelzaun zu. Er überstieg die erste Zaunreihe und lief über das Minenfeld. Etwa vier Meter vor dem äußeren Zaun verspürte er einen starken Schlag, sah eine schwarze Rauchwolke, Steine, die in die Luft geschleudert wurden, und stürzte.

Grenzsoldaten, die gegen 5 Uhr die Ursache der Minendetonation überprüfen sollten, kamen zunächst zu keinem Ergebnis. Obwohl ihm eine Mine den linken Fuß weggerissen hatte, kletterte Klaus Seifert über den äußeren Grenzzaun und rettete sich schwer verletzt auf das Bundesgebiet. Zwei Stunden später fand ein Jäger den nahe der Grenze Liegenden, der sich mit Pfiffen bemerkbar gemacht hatte, und brachte ihn mit dem Auto ins Krankenhaus Mellrichstadt. Nach einem Hinweis des örtlichen Abschnittsbevollmächtigten (ABV) hatte der Staatssicherheitsdienst inzwischen die beiden Freunde Seiferts festgenommen und begann damit, diese zu verhören. Grenztruppenangehörige entdeckten später im Minenfeld einen zerrissenen Halbschuh, größere Knochensplitter sowie starke Blutspuren.

Im Krankenhaus Mellrichstadt musste Klaus Seifert sofort der linke Unterschenkel bis zehn Zentimeter unterhalb des Kniegelenkes amputiert werden. Doch die Wunde verheilte nicht. Die Ärzte stellten eine Gasbrandinfektion fest und überwiesen ihn am 15. April ins Luitpold-Krankenhaus nach Würzburg, wo es geeignetere Behandlungsmöglichkeiten für diese oft tödlich verlaufende Krankheit gab. Nach einer Spezialbehandlung erklärte er Beamten der Bayrischen Grenzpolizei: „Nach meiner Genesung möchte ich in der Bundesrepublik bleiben und nach Möglichkeit als technischer Zeichner umschulen. Meine entfernten Verwandten […] in Ostheim v.d. Rhön sind bereit[,] mich in ihrer Wohnung aufzunehmen.“ Sein Zustand verschlechterte sich jedoch zusehends. Nach mehreren Operationen verstarb der erst 18-jährige Klaus Seifert an den Folgen der Gasbrandinfektion am 4. Mai 1971. Eineinhalb Monate später verurteilte das Kreisgericht Meiningen Klaus F., der nach der Überwindung der ersten Grenzanlagen umgekehrt war, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Karl F. wurde vorgeworfen, die ihm bekannten Fluchtpläne verheimlicht zu haben. Er erhielt eine Bewährungsstrafe von ebenfalls einem Jahr und sechs Monaten.

Am 27. Mai überführte ein Bestattungsunternehmen zwei Leichen in die DDR. In einem Sarg lag die Leiche von Klaus Seifert, im anderen die von Karl-Heinz Fischer. Vielleicht hatten sie einander gekannt: Fischer lebte in Meiningen. Auch ihm wurde beim Versuch, die Grenze zu überwinden, ein Fuß von einer Mine weggerissen. Er hatte sich noch 250 Meter weit auf Bundesgebiet geschleppt, bis er zusammenbrach und verblutete.

Wegen der tödlichen Verletzung Klaus Seiferts und sechs weiterer Flüchtlinge an der innerdeutschen und Berliner Grenze erhob die Staatsanwaltschaft Berlin am 12. Mai 1992 Anklage gegen Heinz Keßler, ehemaliger Minister für Nationale Verteidigung der DDR, Fritz Streletz, ehemaliger Chef des Hauptstabes der Nationalen Volksarmee der DDR, und Hans Albrecht, ehemaliger 1. Sekretär der Bezirksleitung Suhl der SED. Das Landgericht Berlin sprach am 16. September 1993 alle Angeklagten der Anstiftung zum Totschlag für schuldig und verhängte Freiheitsstrafen zwischen siebeneinhalb und viereinhalb Jahren Haft. Nach einem Revisionsurteil erhöhte der Bundesgerichtshof die Freiheitsstrafe von Hans Albrecht von vier Jahren und sechs Monaten auf fünf Jahre und einen Monat. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin klagte am 12. Juni 1995 den ehemaligen Stabschef im Kommando der Grenztruppen Fritz Rothe an. Wegen versuchten und vollendeten Totschlags in jeweils drei Fällen (darunter auch Karl-Heinz Fischer) verurteilte ihn das Landgericht Potsdam am 16. Dezember 1997 zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Generalleutnant Hans Wiesner, der ehemalige Chef der Militärakademie „Friedrich Engels“, wurde am 26. Februar 1999 von der Staatsanwaltschaft Dresden wegen des Todes von Klaus Seifert und vier weiterer Flüchtlinge angeklagt. Das Landgericht Dresden stellte das Verfahren am 18. August 2000 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ein. Die Staatsanwaltschaft Erfurt klagte am 6. Juli 1999 Burkhardt R. an. Der Chef einer Pionierkompanie, die für die Anlage der Minensperren verantwortlich war, wurde vom Landgericht Meiningen am 8. Dezember 1999 wegen Totschlags in zwei Fällen zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.


Biografie von Klaus Seifert, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/181-klaus-seifert/, Letzter Zugriff: 23.11.2024