Am 11. Juni 1967 gegen 6.05 Uhr hörten Grenzposten der 5. Kompanie des 24. Grenzregiments Salzwedel in der Nähe von Riebau im Bereich des Reitergrabens zwei Explosionen. Sie liefen zum Ort des Geschehens und entdeckten in der „Drahtminensperre“ einen schwer verletzten Mann. Postenführer Manfred D. und der Grenzsoldat T. sagten später aus, sie seien bis auf zehn Meter an den Verwundeten herangekommen. Er habe gestöhnt und fortwährend geschrieen: „Helft mir doch, Gott hilf mir doch, holt mich doch raus!“ Da ihnen aber die Funktionsweise der neuen Drahtminensperre nicht bekannt war, wagten sich die beiden Grenzer nicht zu dem Schwerverletzten. Unterdessen trafen auch die Berufssoldaten Alfons G. und Gerhard W. am Ereignisort ein. Sie warfen dem Verletzten Verbandspäckchen zu, die er jedoch nicht mehr aufnehmen konnte. Der Mann habe immer wieder gestöhnt und nach seinem Vater gerufen. Nach etwa zweieinhalb Stunden konnte ein Pioniertrupp den Schwerverletzten bergen. Der Regimentsarzt Dr. Schubert stellte den Tod der Person durch Verbluten fest. Schubert sagte gegenüber dem Untersuchungsführer des Magdeburger Staatssicherheitsdienstes später aus, dass der Verletzte sich um 8 Uhr noch bewegt, den linken Arm gehoben und mehrfach leise „Vater hilf mir!“ gerufen habe. Dr. Schubert wollte auch gesehen haben, dass die Beine abgerissen waren und stellte, als der Mann die rechte Hand hob, den Verlust von mehreren Fingern fest. Gegen 8.25 Uhr bemerkte er, dass die Person die letzten Lebenszeichen von sich gab. Die Untersuchung am Ereignisort ergab, dass der Unbekannte mit Hilfe von mehreren Balken den Grenzzaun von westlicher Seite aus überklettert hatte. In den Grenzanlagen lag ein stark beschädigtes Damenfahrrad der Marke „Meister“, das er über den Zaun gewuchtet und mit sich geführt hatte. Bei dem Toten wurden eine Taschenuhr und mehrere Schriftstücke gefunden. Die Leiche wurde zunächst in das „Leichenkrankenhaus“ Salzwedel gebracht, von wo sie um 17 Uhr dann nach Magdeburg in die Pathologie überführt wurde.
Ein Staatsanwalt des Kreises Salzwedel namens Wagner unterzeichnete am 12. Juni 1967 das Ergebnis der pathologischen Untersuchung von Oberarzt Dr. Friedrich Wolff und Assistenzärztin Dr. Margot Laufer vom Institut für Pathologie der Medizinischen Akademie Magdeburg. Demnach war der Unbekannte nach der Explosion durch die Luft geschleudert worden und mit dem Kopf auf der Erde aufgeschlagen. Als äußere Verletzungen wurden festgestellt: „Linkes Bein unterhalb des Knies weggerissen, rechtes Bein unterhalb des Knies zerschmettert, von der rechten Hand fehlten drei Fingerspitzen, im Gesicht sind zahlreiche Splitter festzustellen“. Der Tod sei schließlich „durch Herz und Kreislaufversagen infolge Blutverlustes aus den schweren Verletzungen der unteren Gliedmaßen eingetreten“. Die beiden Fachmediziner schrieben am Ende ihres Leichenöffnungsberichts: „Mutmaßliches Alter zwischen 60 und 65 Jahren. Muskulöser regelmäßiger Körperbau, Körpergröße ca. 1,70 m.“ Kreisstaatsanwalt Wagner leitete noch am gleichen Tag ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein.
Erich Honecker, damals der für Sicherheitsfragen zuständige Sekretär des SED-Zentralkomitees, erhielt am 12. Juni 1967 von seinem dafür zuständigen Abteilungsleiter Walter Borning folgende Mitteilung: „In unserer Sperre wurde eine unbekannte männliche Zivilperson, ca. 60 bis 65 Jahre alt, gefunden, die aus Westdeutschland kam. Die Bergungsarbeiten wurden gegen 08.05 Uhr abgeschlossen. Bei der Durchsuchung der Person wurden keinerlei Dokumente vorgefunden. Vor und während der Bergungsarbeiten wurden auf westlicher Seite keine Handlungen des Gegners festgestellt.“ Man werde mit dem Chef der Grenztruppen, Generalmajor Peter, das Geschehene „auswerten und fordern, dass in solchen Fällen Maßnahmen getroffen werden, die die Bergungsarbeiten in einem kürzeren Zeitraum abschließen“.
Einem „Bericht über die Erdbestattung der an der Staatsgrenze West aufgefundenen männlichen Leiche“, verfasst von einem Magdeburger MfS-Mann, ist zu entnehmen, dass der „unbekannte Tote“ am 22. Juni 1967 um 8.10 Uhr auf dem Westfriedhof in Magdeburg in der Grabstelle RA 9 3305 beerdigt wurde. Die Sterbeurkunde des Standesamts Magdeburg enthält Angaben zu „Unbekannt, männlichen Geschlechts“, mit der Angabe, der Mann sei am 11. Juni 1967 um 8.30 Uhr in Magdeburg „tot aufgefunden“ worden. Staatsanwalt Wagner und ein MfS-Leutnant nahmen an der Beisetzung teil. Am 27. Juli 1967 stellte Wagner das „Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt“ mit der Begründung ein, der Tote habe nicht identifiziert werden können.
Staatsanwalt Wagner war allerdings zu diesem Zeitpunkt die Identität des ums Leben Gekommenen längst bekannt. Schon einer der ersten Berichte der Untersuchungsgruppe des MfS vom 12. Juni 1967 enthielt den Hinweis, dass nach nochmaliger Durchsuchung der Kleidungsstücke der Leiche mehrere Rechnungen aufgefunden wurden, die an Ernst Wolter in Bockleben gerichtet waren. Auch sei aus diesen erkennbar gewesen, dass es sich bei dem Empfänger um einen Bauern gehandelt haben müsse. Unter den aufgefundenen Schriftstücken befand sich auch eine Bestätigung der Molkerei-Genossenschaft, 3131 Lemgow zu Trabuhn, über abgelieferte Milch und deren Qualitätseinstufung.
Am 3. August 1967 rief die Gemeindeschwester Gerda B. aus Riebau das Volkspolizei-Kreisamt in Salzwedel an und fragte „nach dem Verbleib des westdeutschen Bürgers Wolter“. Daraufhin begab sich Oberleutnant Krüger von der Kriminalpolizei zu ihr. Laut seinem Protokoll hatte sich die Bäuerin Erika L. ( Jg. 1920) aus Westdeutschland am 31. Juli 1967 mit einem Eilbrief an ihre Bekannte, die Gemeindeschwester in Riebau, gewandt und nach dem Verbleib ihres Pflegevaters Ernst Heinrich Friedrich Wolter gefragt. In dem Brief heißt es: „Am 10. Juni ist unser Opa aus Bockleben vermißt. Er ist abends um 7 Uhr noch im Dorf gesehen worden und seitdem fehlt von ihm jede Spur. Nun wissen wir aber, daß ein älterer Mann bei Melchau auf eine Mine gelaufen sei, am Sonntagfrüh, und Dienstag in Salzwedel als Vermißter beerdigt sein soll. Er hatte keine Papiere bei sich. Wir nehmen an[,] er wollte Kühe suchen. Er war in letzter Zeit nicht mehr so, wie er sein müßte. Sein Fahrrad soll am Zaun gestanden haben und dann von der Grenzpolizei nach dort rübergeholt worden sein.“ Die zuständige Polizeidienststelle habe eine Anfrage an die Volkspolizei gerichtet, aber noch keine Antwort erhalten. „Er sah sehr jung aus, rot und frisch, hatte altes Zeug an und Gummistiefel.“ Erika L. bat darum, das Fahrrad ihres Pflegevaters bei der Volkspolizei in Salzwedel sehen zu dürfen, um es zu identifizieren.
Nach westlichen Pressemeldungen musste Staatsanwalt Wagner auf Weisung der Ost-Berliner Generalstaatsanwaltschaft im September 1967 die Ermittlungen nach dem angeblich „unbekannten Toten“ wiederaufnehmen. Wagner vernahm eine in der DDR wohnende Schwägerin Wolters, die zum Termin Ernst Wolters Personalausweis mitbrachte. Das Dokument hatte ihr die Pflegetochter aus Westdeutschland zugeschickt. Ernst Wolter war demnach zum Zeitpunkt seines Todes 80 Jahre alt. Wagner berichtete dem Generalstaatsanwalt in Ost-Berlin, nach der Personenbeschreibung durch Frau Anna K. „und dem mir vorliegenden Paßbild des Personalausweises habe ich persönlich keinen Zweifel, daß es sich tatsächlich um die Person des Ernst Wolter handelt“.
Frau K. bat im Namen der Angehörigen um Auskunft darüber, ob es sich bei dem an der Grenze tödlich Verunglückten tatsächlich um Ernst Wolter handele. Sie bat weiterhin darum, dass die DDR-Behörden der Pflegetochter zur Erledigung von Erb-und Versicherungsangelegenheiten die Sterbeurkunde aushändigen und mitteilen, wo ihr Vater beerdigt wurde.
Am 2. Dezember 1968 verfasste das MfS einen „Abschlußbericht zur Grenzverletzung am 11. Juni 1967 im Raum Salzwedel“. Demnach hatte man im März 1968 einen Plan zur „Vernehmung der vermutlichen Pflegetochter des unbekannten Grenzverletzers“ verfasst und sie über ihre in der DDR lebende Tante zur Identifizierung nach Ost-Berlin eingeladen. Der von dieser Tante übergebene „Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland des unbekannten Toten“ war zuvor schon von der Technischen Untersuchungsstelle des MfS begutachtet und für echt befunden worden. Die 68-jährige Pflegetochter Wolters schreckte jedoch vor der Reise in die DDR zurück. Am 7. Juni 1968 wurde das Verfahren gegen „Unbekannt“ wieder vorläufig eingestellt. Die nach der Wiedervereinigung eingeleiteten Ermittlungen gegen mehrere Offiziere führten zu keiner Anklage, denn die Eintragungen in die Formbögen zu den Minenfeldern enthalten häufig Namen von Stabsoffizieren, die nicht mit den Namen der tatsächlich für die Minenverlegung verantwortlichen Pionierkommandanten identisch sind.