Werner Möhrer wohnte mit seinem Bruder im mecklenburgischen Grabow. Er hatte die Schule mit der 8. Klasse abgeschlossen und anschließend Maschinenschlosser gelernt. Nachdem er vom Militärdienst bei der NVA entlassen worden war, arbeitete er in seinem Ausbildungsberuf in der Molkerei Neustadt-Glewe. Die elf Kilometer bis in den Nachbarort legte er mit seinem Motorrad zurück, wie auch sein Bruder Hans, der dort als Vorrichtungsbauer in einem Hydraulikbetrieb beschäftigt war. Hans Möhrers Verlobte Karin G. kam aus Neustadt-Glewe und pendelte täglich zur Arbeit in die Molkereigenossenschaft Grabow. Die Verlobten wollten zusammenziehen, doch das Genehmigungsverfahren für einen Hausbau zog sich in die Länge und wurde schließlich abgelehnt. Der Rückschlag traf die Jungverliebten hart.
Das Risiko eines Grenzdurchbruchs erschien vielen ehemaligen Angehörigen der Grenztruppen kalkulierbar, da sie die Grenzanlagen und die Modalitäten des Postendienstes in ihrer Kompanie kannten. Hans Möhrer hatte bis zum Mai 1965 in der Grenzkompanie Morsleben gedient. Das mag für das junge Paar im Juli 1966 den Ausschlag für den Entschluss, die DDR zu verlassen, gegeben haben. Werner Möhrer wurde in die Pläne zur Flucht eingeweiht und wollte mit seinem Bruder und der Verlobten Karin G. gemeinsam über die Grenze. Der 21-Jährige träumte schon seit Längerem von einem Leben in der Bundesrepublik. Die Vorbereitungen waren so sorgfältig wie umfangreich: Hans Möhrer erkundigte sich bei einem noch an der Grenze eingesetzten früheren Kameraden nach Veränderungen im Grenzgebiet und beobachtete mit seinem Bruder den Grenzabschnitt. Sie nähten sich Tarnanzüge, in denen persönliche Unterlagen verstaut wurden, und hoben schließlich ihre gesamten Guthaben von der Sparkasse ab.
Am Abend des 17. August 1968 war es so weit. Mit ihren beiden Motorrädern brachen Werner Möhrer, sein Bruder Hans und Karin G. nach Morsleben auf. Noch im Dunkeln erreichten sie am darauffolgenden Tag das Sperrgebiet, wo sie zu Fuß bis zu einem Waldstück, 500 Meter von der Bundesstraße 1 entfernt, schlichen. Sie hatten vor, die kommende Nacht abzuwarten und erst dann die Flucht zu wagen, doch es kam anders. Hans Möhrer erinnert sich: „Als wir jedoch zwischen 07.00 und 08.00 [Uhr] aus nicht allzu großer Entfernung von der anderen Seite der Straße Motorenlärm und Gesprächsfetzen hörten, entschloß ich mich, nachzuschauen. Ich ging deshalb etwa 50 m zur Straße vor und bemerkte auf dem angrenzenden Feld Arbeiter, die Korn mähten. Etwa 10 m entfernt von mir auf der gleichen Höhe sah ich gleichzeitig jedoch zwei Posten der NVA. Diese machten Anstalten, sich in den Wald zu begeben. Es handelte sich um ein Postenpaar, das zur Beobachtung der Feldarbeiter eingesetzt war. Einer der Posten bemerkte jedoch meinen Bruder und meine damalige Verlobte, die zwischendurch ein Stückchen nach vorn gekommen waren. Die Posten riefen: ‚Halt, stehenbleiben, oder es wird geschossen.‘“ Überstürzt versuchten Hans Möhrer und seine Verlobte daraufhin, verfolgt von den Posten, von der Grenze weg zurück nach Morsleben zu kommen, Werner Möhrer aber trat die Flucht nach vorn an. Dabei wurde er von einem dort zur Kontrolle der Grenzanlagen eingesetzten Nachrichtenoffizier und dessen Fahrer entdeckt und verfolgt, bis er sich in einem Waldstück verstecken konnte. Doch weder von seiner Entdeckung, noch von den Warnschüssen und dem nun ausgelösten Grenzalarm ließ sich Werner Möhrer aufhalten. Tatsächlich gelang es ihm, im Gras kriechend, den hinteren Grenzzaun zu erreichen und zu überklettern. Schon im Schutzstreifen angelangt und nur noch 400 Meter von der Demarkationslinie entfernt, eröffnete ein Grenzer von einem Hochsitz aus das Feuer. Eine Kugel zerfetzte Möhrers Herz.
Geschockt von den auf sie abgegebenen Warnschüssen, hatten sich Karin G. und Hans Möhrer den Grenzposten gestellt. Als er nicht schnell genug auf den Befehl, sich sofort hinzulegen, reagierte, feuerte ein Soldat eine MG-Salve ab und traf dabei einen Fuß von Hans Möhrer. Im Krankenhaus erfuhr er später von einer Krankenschwester, was er beim Hören des Dauerfeuers an der Grenze nur ahnen konnte: Während er am Boden lag und die Grenzposten ihn mit vorgehaltener Waffe bewachten, war sein Bruder erschossen worden.
Werner Möhrers Leiche wurde eingeäschert und zur Beerdigung nach Grabow überführt. Einer seiner Freunde erinnerte sich, dass man weder in Grabow noch in der Umgebung über den Tod Werner Möhrers öffentlich sprach. „Das traute man sich nicht. Aber intern, so unter Freunden und guten Bekannten, da hat man das schon diskutiert. Sowohl Werner als auch Hans galten ja als ordentlich und anständig. Man konnte ihnen nichts nachsagen. Umso mehr erregte der Tod des Werner die Gemüter. Aber man traute sich nicht, öffentlich etwas zu sagen. In die Zeitungen durfte nicht einmal eine Todesanzeige gesetzt werden.“ Das Kreisgericht Ludwigslust verurteilte Karin G. in einem nicht öffentlichen Verfahren wegen versuchten gemeinschaftlichen Grenzdurchbruchs und versuchter Ausfuhr von Zahlungsmitteln zu zwei Jahren Gefängnis. Sie kam in die Vollzugsanstalt „Roter Ochse“ nach Halle. Im April 1968 wurde ihre Strafe ausgesetzt. Das Urteil gegen Hans Möhrer sah eine dreijährige Haftstrafe vor, die er in der Haftanstalt Bützow antrat. Auch für ihn wurde am Ende des Jahres 1968 eine Strafaussetzung ausgesprochen. Nachrichtenoffizier Hans-Joachim W., der die tödlichen Schüsse auf Werner Möhrer abgegeben hatte, erhielt als Auszeichnung das „Leistungsabzeichen der Grenztruppen“ und eine Geldprämie. Er konnte im Zuge der juristischen Aufarbeitung des DDR-Unrechts später nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, da er 1993 verstorben war.