Am 27. März 1962 erhielt Oberleutnant Georg Fleischer in seiner Wohnung einen Telefonanruf, der ihn stark aufwühlte. Er lief auf den Hof des Hauses und nahm sein Dienstfahrrad. Seine Ehefrau eilte ihm nach. Er hatte seine Dienstwaffe vergessen. Als sie ihm die Pistole übergab, wusste sie nicht, dass sie ihren Ehemann das letzte Mal lebend sieht.
Georg Fleischer diente fast sein ganzes Arbeitsleben lang an der Grenze, zunächst bei der Grenzpolizei, dann bei den Grenztruppen. Nachdem er die Schule mit der 8. Klasse abgeschlossen hatte, arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft, bevor er sich 1950 für den Dienst in der Grenzpolizei meldete. Er kam in der Grenzkommandantur Jübar bei Salzwedel zum Einsatz, 30 Kilometer von seinem Heimatort Mahlsdorf entfernt. Das MfS trat an den erst 17-Jährigen heran und warb um seine Mitarbeit. Georg Fleischer unterschrieb auch eine Verpflichtungserklärung, aber der Staatssicherheitsdienst hob die Verbindung 1957 wieder auf, weil Georg Fleischer die ihm erteilten Aufträge nur nachlässig erfüllte und konspirativen Treffen aus dem Weg ging.
Bei der Grenzpolizei machte Georg Fleischer jedoch Karriere. Er wurde 1953 zum Unteroffizier befördert, absolvierte im Ausbildungsjahr 1953/54 einen Offiziersanwärter-Lehrgang in Sondershausen, rückte 1954 zum Unterleutnant und 1957 zum Leutnant auf. Am 7. Oktober 1959 verlieh ihm der Minister des Innern Karl Maron die Medaille „Für treue Dienste“ in Silber. Schon 15 Monate später übernahm er im Rang eines Oberleutnants die Kompanie Oebisfelde. Aus seiner Ehe gingen zwei Söhne hervor. Georg Fleischer spielte in seiner Freizeit Fußball und war aktiver Leichtathlet.
Da Oberleutnant Fleischer am 27. März 1962 nicht zum Dienst in der Grenzkompanie erschien, wurde Grenzalarm ausgelöst. Man vermutete, er wolle sich in den Westen absetzen, weil er sich für ein geringfügiges Dienstvergehen verantworten sollte. Dies musste unbedingt verhindert werden, denn als Kompaniechef hätte Georg Fleischer den westdeutschen Behörden brisante Informationen liefern können. Während eine Nacht mit frostigem, unbeständigem Wetter anbrach, gingen die Soldaten der Grenzkompanie Oebisfelde zur verstärkten Grenzsicherung über, um die Fahnenflucht ihres Kommandeurs zu verhindern. Doch erst am folgenden Abend gegen 19.30 Uhr näherte sich Georg Fleischer bei Oebisfelde-Weferlingen (OT Buchhorst) den Grenzanlagen.
Laut einem Bericht des Kommandos der Grenztruppen sei er auf die getarnten Posten Gefreiter P. und Soldat N. gestoßen. Als sie ihn aufforderten, die Parole zu nennen, habe er aus seiner Dienstpistole zweimal auf die Posten geschossen. Diese erwiderten sofort das Feuer. Georg Fleischer sei nach dem ersten Feuerstoß zusammengebrochen. Er habe sich mit dem Oberkörper nochmals aufgerichtet, um weitere Schüsse abzugeben. Nachdem beide Posten weitere gezielte Schüsse abgefeuert hatten, habe sich Georg Fleischer nicht mehr gerührt. Er verstarb noch am Tatort.
Den Vorfall untersuchte in den 1990er Jahren die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV). Das Ermittlungsverfahren gegen die Schützen wurde jedoch wieder eingestellt, da ihre Schussabgabe aus einer Notwehrsituation erfolgt sei.