Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
  • Startseite
  • Kontakt
  • Impressum
  • Datenschutz
Biografisches Handbuch
Alle Biografien

Frank Müller

Geboren am 6. Februar 1968 in Berlin-Lichtenberg | ertrunken vermutlich am 27. Oktober 1989 | Fund der Wasserleiche am 3. November 1989 in der Oder bei Lebus

Zwei Wochen vor dem Mauerfall versuchte Frank Müller die Oder zu durchschwimmen, um in Polen die bundesdeutsche Botschaft zu erreichen. Dabei ertrank er. Seine Leiche wurde bei Lebus geborgen.

Das Volkspolizeikreisamt Seelow meldete in seinem Quartalsbericht vom 31. Oktober 1989, dass in seinem Zuständigkeitsbereich die Fluchtversuche aus der DDR nach Polen schwerpunkmäßig auf die Tage vom 13. September bis zum 27. Oktober fielen. „In 26 Fällen mit 54 Personen erfolgten die Angriffe auf die Staatsgrenze für den Kreis Seelow.“ Volkspolizei und Transportpolizei unterstützten die überforderten Grenztruppen und patrouillierten auf dem Oderdamm.

Da die Einreise nach Polen Einschränkungen unterlag – im Oktober 1980 war der visafreie Personenverkehr eingestellt worden –, versuchten viele DDR-Bürger, deren Ziel die bundesdeutsche Botschaft in Warschau war, schwimmend den Grenzfluss Oder zu überqueren. Am 12. September 1989 hatte in Polen eine neue Regierung unter dem Bürgerrechtler Tadeusz Mazowiecki die Amtsgeschäfte übernommen; DDR-Flüchtlinge, die das Grenzgebiet überwunden hatten, wurden nicht mehr abgeschoben. Etwa 6.000 DDR-Bürger suchten um Aufnahme in der bundesdeutschen Botschaft nach und wurden mit Unterstützung der polnischen Behörden dezentral untergebracht. Am 1. Oktober 1989 durchquerte der erste Zug mit Botschaftsflüchtlingen aus Warschau die DDR in Richtung Helmstedt. Auf diesem Wege wollte auch Frank Müller in den Westen.

Frank Herbert Müller wurde am 6. Februar 1968 in Berlin-Lichtenberg geboren. Sein Vater, bei der Geburt bereits im hohen Alter, starb, als Frank noch ein Kind war. Bis zum fünften Lebensjahr wuchs er bei der Mutter in Markgrafpieske auf, dann wurde er im Sondervorschulheim Hangelsberg bei Fürstenwalde untergebracht und ab 1975 im Kinderheim Seebad in Rüdersdorf. 1982 starb die Mutter. 1983, mit 15 Jahren, kam er in das Kinder- und Jugendwohnheim Erich Hannemann nach Bad Freienwalde, in dem verhaltensauffällige Kinder- und Jugendliche zum Teil längere Zeit unter Betreuung wohnten. Volljährig geworden, verließ er 1986 das Heim und zog nach Zernsdorf, heute ein Teil der Stadt Königs Wusterhausen. Dort wurde er straffällig und büßte vom 9. November 1988 bis zum 5. Juli 1989 eine Haftstrafe ab. Der Vermerk „K3“ auf seiner Meldekarte weist darauf hin, dass es sich hierbei um ein Vergehen der “Allgemeinen Kriminalität”, etwa um ein Diebstahlsdelikt, gehandelt haben muss.

Etwa am 27. Oktober 1989 – auf das Datum wurde aufgrund des Zustands seiner Leiche geschlossen –, versuchte der 21-Jährige südlich von Lebus im damaligen Kreis Seelow die Oder zu durchschwimmen. Den Sozialversicherungsausweis, seinen und eine Geburtsurkunde trug er bei sich. Seine im Fluss treibende Leiche entdeckte ein Passant am 3. November 1989 in Höhe des Restaurants „Anglerheim“ in Lebus.

Die Oder bei Lebus


Die Oder bei Lebus
Quelle: Foto Uwe Bräuning

Leichenfundort in der Nähe der Gaststätte "Anglerheim"
Quelle: Foto Uwe Bräuning

Leichenfundort in der Nähe der Gaststätte "Anglerheim"
Quelle: Foto Uwe Bräuning



Previous



Next

  • Die Oder bei Lebus>
  • Leichenfundort in der Nähe der Gaststätte "Anglerheim">
  • Leichenfundort in der Nähe der Gaststätte "Anglerheim">

Die Oder bei Lebus

Quelle: Foto Uwe Bräuning

Leichenfundort in der Nähe der Gaststätte "Anglerheim"

Quelle: Foto Uwe Bräuning

Leichenfundort in der Nähe der Gaststätte "Anglerheim"

Quelle: Foto Uwe Bräuning

Die alarmierte Volkspolizei barg sie mit Hilfe der Freiwilligen Feuerwehr. Bei der Untersuchung der Leiche konnte der Tod durch Ertrinken festgestellt werden. Frank Müllers sterbliche Überreste wurden im Krematorium Frankfurt (Oder) eingeäschert. Auf dem Friedhof in Zernsdorf fand er in der Grablege seiner Mutter die letzte Ruhe. Die Grabstelle lief 2015 aus.

In seinem nächsten Quartalsbericht vom 31. Januar 1990 berichtete das Volkspolizei-Kreisamt Seelow, dass es „mit den Festlegungen zur Erleichterung des Reiseverkehrs und der Erteilung eines Visums für alle Bürger der DDR“ von 9. November 1989 „keine Angriffe gegenüber der Staatsgrenze beiderseitig“ mehr gegeben habe.

Autor:
jk
Recherche:
CB, jk
Quellen:
  • Auskunft Stadt Königs Wusterhausen, Fachbereich IV - Tiefbau und Grünflächen, Sachgebiet öffentl. Grün und Friedhöfe an Jan Kostka, 2.10.2020.
  • Auskunft Uwe Bräuning an Jan Kostka. Küstrin-Kietz, 14.10.2020.
  • Bräuning, Uwe: Wie war es eigentlich 1989? Teil 3. In: Deutsche Polizei. Das Magazin der Gewerkschaft der Polizei, Heft 4/2020, S. 26-31.
  • Kommando der Grenztruppen: Fernschriftliche Meldungen über Vorkommnisse an der Staatsgrenze der Grenzbrigade zur VRP (Festnahmen, ungesetzliche Grenzübertritte, Vorkommnisse an GÜSTen) Oktober 1989 bis November 1989. BArch DVH 32/ 121700.
  • Kreismeldekartei: Meldekarte Müller, Frank. Kreisarchiv Landkreis Dahme-Spreewald, Luckau.
  • Mahn/Sachbearbeiter an das Krematorium Frankfurt/Oder, 9.11.1989. Stadtarchiv Königs Wusterhausen.
  • Standesamt Lebus: Sterbeurkunde 15/1989 (Frank Herbert Müller). Lebus, 8.11.1989. Stadtarchiv Königs Wusterhausen.
  • VPKA Seelow / ODH Stab: Rapporte Nr. 138/89 vom 29.09.1989 bis 184/89 vom 28.12.1989, Enth. Lagefilme für den gleichen Zeitraum. BLHA Rep. 672 VPKA Seelow 30.
  • VPKA Seelow / Stab: Einschätzungen/Protokolle (Grenze Polen), Protokolle Stabsdienstberatungen, Kontrollpläne. BLHA Rep. 672 VPKA Seelow 59.
Druckversion
Abkürzungsverzeichnis
Name
Müller, Frank
Geschlecht
männlich
Geburtsdatum
6. Februar 1968
Geburtsort
Berlin-Lichtenberg
Letzter Wohnort
Königs Wusterhauen, OT Zernsdorf
Staat des Vorfalls
DDR
Region des Vorfalls
Brandenburg
Ort des Vorfalls
die Oder bei Lebus
Todesursache
Ertrinken
Datum des Vorfalls
Ende Oktober 1989
Ergänzendes Datum
3. November 1989
Anmerkung
Fund der Wasserleiche
Todesalter
21
Teilprojekt
verbündete Ostblockstaaten
Fallgruppe
bei Fluchtversuchen
Personengruppe
Zivilisten / DDR
Startseite Zum Projekt Kontakt Impressum Datenschutz
Freie Universität Berlin
Universität Greifswald
Universität Potsdam
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung