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Biografisches Handbuch

Andreas Kaiser

geboren am 18. April 1954 in Leipzig | gestorben nach Suizidversuch am 30. Juni 1973 | Ort des Suizidversuchs: Kaserne des Grenzausbildungsregiments Eisenach
Am 28. Juni 1973 meldete das Grenzausbildungsregiment Eisenach den Suizidversuch eines Grenzsoldaten. Der seit dem 3. Mai 1973 in die 7. Ausbildungskompanie eingezogene Soldat Andreas Kaiser, Mitglied der FDJ und der SED, habe beim Waffenempfang um 6.30 Uhr eine MPi-Patrone entwendet, sich auf den Dachboden der Kaserne begeben und dort in den Bauch geschossen.

Andreas Kaiser und seine vier Jahre ältere Schwester Petra verbrachten wegen gesundheitlicher Probleme ihrer Mutter viele Jahre in Kinderheimen. Nach dem Abschluss der 10 Klasse an der Polytechnischen Oberschule „Georgi Dimitroff” in Leipzig absolvierte Andreas Kaiser von 1970 bis 1972 eine Lehre im VEB Metallleichtbaukombinat IMO Leipzig, die er erfolgreich als Facharbeiter für Schweißtechnik abschloss. Am 3. Mai 1973 musste der 19-Jährige dann „zur Fahne”. Acht Wochen später richtete Andreas Kaiser seine Waffe gegen sich selbst. Nach der Einlieferung in das Kreiskrankenhaus Eisenach versuchten die Ärzte den lebensgefährlich Verletzten durch eine Notoperation zu retten. Er erlag zwei Tage später am 30. Juni 1973 jedoch den Folgen der Schussverletzung. Der Stabschef des Grenzausbildungs­regiments behauptete in seinem Untersuchungsbericht, das Motiv Kaisers liege in seinen persönlichen und familiären Verhältnissen. Die Mutter des Soldaten sei Anfang des Monats verstorben.

Die Erinnerung seiner Schwester Petra wirft im Unterschied zu den Meldungen der Grenztruppen ein ganz anderes Licht auf den verzweifelte Suizidversuch ihres Bruders am 28. Juni 1978: „Mein Bruder Andreas Kaiser hatte gerade seine Lehre beendet, war frisch verliebt, hatte lange Haare auf die er so stolz war. Da kam die Einberufung und die Haare mussten ab. Für ihn war das so, als ob man ihn die Menschenwürde genommen hat. Er erzählte mir, dass er sich nur im Dunkeln auf die Straße traut und an den Häusern entlang schlich. ” Ihr Bruder habe zur Beisetzung der Mutter Urlaub erhalten. Seine Freundin nahm an der Trauerfeier jedoch nicht teil, da sie einen Ferienplatz nicht verfallen lassen wollte. Darüber habe sich ihr Bruder sehr gegrämt. Zudem sei er „durch den Tod unserer Mutter und der Tatsache in der NVA Dienst tun zu müssen psychisch am Ende” gewesen. In seinem Abschiedsbrief schrieb Andreas Kaiser: „Bei der Scheiß-Fahne kotzt es mich immer mehr an. Jetzt haben sie unsere Truppe auseinander gerissen, ich fühle mich nicht mehr wie ein Mensch. Nur noch ein befehlsempfangendes Arbeitstier. Von klein auf mußte ich mir solche Töne gefallen lassen. Jetzt wehrt sich mein ganzes Innere, ob ich will, oder nicht. Solche unvernünftigen Befehle und Anweisungen, die man hier bekommt, bringen mich zum Rande der Raserei. Ich bin Soldat und muß mir die größte Mühe geben unseren Herren Unteroffiziere recht gut zu gefallen. Ich habe von allen die Schnauze restlos voll. Ich finde alles sinnlos.”

Kaisers Schwester erhielt nach dem Tod ihres Bruders in Eisenach die Auskunft, er habe sich mit der MPI in den Rücken geschossen, was ihr sehr unglaubhaft erschien. Ihr Versuch mit Soldaten seiner Einheit zu sprechen scheiterte, man teilte ihr mit, diese seien alle bereits versetzt worden.


Biografie von Andreas Kaiser, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/andreas-kaiser/, Letzter Zugriff: 29.03.2024