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Biografisches Handbuch

Kurt Lichtenstein

geboren am 1. Dezember 1911 in Berlin | erschossen am 12. Oktober 1961 | Ort des Vorfalls: zwischen Zicherie und Kaiserwinkel, Gemarkung Jahrstedt (heute Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen)
BildunterschriftKurt Lichtenstein
BildquelleRainer Zunder: Erschossen in Zicherie. Vom Leben und Sterben des Journalisten Kurt Lichtenstein. Berlin: Dietz Verlag 1994, S. 12
Quelle: Rainer Zunder: Erschossen in Zicherie. Vom Leben und Sterben des Journalisten Kurt Lichtenstein. Berlin: Dietz Verlag 1994, S. 12
Der Journalist Kurt Lichtenstein hatte eine lupenreine kommunistische Funktionärsbiographie bis es in den frühen 50er Jahren zum Bruch mit der KPD kam. In den Mittagsstunden des 12. Oktober 1961 parkte Lichtenstein seinen Ford Taunus auf einem Feldweg unmittelbar vor der DDR-Grenze. Dann stapfte er über den Grenzstreifen und ging auf eine Landarbeiterbrigade zu, die unmittelbar hinter der DDR-Grenze einen Kartoffelacker aberntete. Für die Westfälische Rundschau wollte er mit ihnen Interviews führen. Kurt Lichtenstein konnte sich gar nicht vorstellen, dass man dort auf ihn schießen würde.

Der Journalist Kurt Lichtenstein hatte eine lupenreine kommunistische Funktionärsbiografie – bis es in den frühen 1950er Jahren zum Bruch mit der KPD kam. In den Mittagsstunden des 12. Oktober 1961 parkte Lichtenstein seinen Ford Taunus auf einem Feldweg unmittelbar vor der DDR-Grenze. Dann stapfte er über den Grenzstreifen und ging auf eine Landarbeiterbrigade zu, die unmittelbar hinter der DDR-Grenze einen Kartoffelacker aberntete. Für die Westfälische Rundschau wollte er die auf dem Feld arbeitenden Leute interviewen. Lichtenstein konnte sich gar nicht vorstellen, dass an der Grenze auf ihn geschossen würde.

Kurt Lichtenstein wuchs als Sohn eines jüdischen Schuhmachers im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg auf. Er erhielt nach der Volksschule eine Freistelle auf einer weiterführenden Schule, die er jedoch aus Geldmangel nicht abschließen konnte. Er trug als Hilfsarbeiter zum Unterhalt seiner Familie bei. Schon früh engagierte er sich politisch in der Deutsch-Jüdischen Jugendgemeinschaft und der Gewerkschaftsjugend. Ende der 1920er Jahre wechselte er zum Kommunistischen Jugendverband und trat im November 1931 der KPD bei. Er hatte den Beruf eines Werkzeugmachers erlernt und besuchte von 1931 bis 1933 Kurse für Zeitungswissenschaften an der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP).

Nach Hitlers Machtantritt tauchte Lichtenstein unter und emigrierte in die Sowjetunion. Dort arbeitete er in den Automobilwerken „Josef Stalin“ und erhielt an diversen Einrichtungen der Kommunistischen Internationale Politschulungen. Im Jahr 1934 kehrte er als Instrukteur des Kommunistischen Jugendverbandes nach Deutschland zurück, um im Saarland – zu diesem Zeitpunkt noch Mandatsgebiet des Völkerbundes – gegen die Rückgliederung des Saargebietes in das Deutsche Reich zu agitieren. In dieser Zeit gehörte er der KPD-Funktionärsgruppe um Herbert Wehner und Erich Honecker an. Nach der für die NSDAP erfolgreichen Saarabstimmung – 90,5 Prozent der Saarländer votierten für „Heim ins Reich“ – schickte die KPD Lichtenstein nach Frankreich, wo er für mehrere kommunistische Organisationen arbeitete. Im Oktober 1936 zog er im Auftrag der KPD in den Spanischen Bürgerkrieg. Dort kam er als Politkommissar im Thälmannbataillon zum Einsatz, nach einer Verwundung als Propagandist für die deutschsprachige Zeitung der Internationalen Brigaden und als Agitator im republikanischen Radiosender „29,8“. Nach dem Sieg der Franco-Truppen verbrachte er fast zwei Jahre in französischen Internierungslagern bis ihm 1941 die Flucht nach Toulouse gelang. Er schrieb nun Flugblätter, die deutsche Soldaten zur Desertion aufriefen, und kämpfte zeitweise auch in der Résistance gegen die Wehrmacht.

Da er fließend Französisch sprach, schickte ihn die KPD 1944 getarnt als „Fremdarbeiter“ zur illegalen Arbeit nach Deutschland zurück. Er arbeitete unter dem Namen Jules Bardier als Werkzeugmacher in einer Suhler Waffenfabrik. Die Amerikaner verhafteten Lichtenstein nach ihrem Einmarsch und übergaben ihn der französischen Armee, da sie glaubten, er sei ein französischer Faschist. Auf Intervention des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs wurde er freigelassen. Er arbeitete dann für die KPD im Ruhrgebiet, unter anderem als Chefredakteur mehrerer Zeitungen, die der KPD nahestanden. Von 1947 bis 1950 saß er als KPD-Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Im Laufe des Jahres 1950 geriet Lichtenstein gemeinsam mit dem ehemaligen zweiten Vorsitzenden der KPD und Bundestagsabgeordneten Kurt Müller in eine „Säuberungswelle“ wegen „parteifeindlicher Tätigkeit“. Während Müller 1950 in die DDR gelockt und zu 25 Jahren Zwangsarbeit in der Sowjetunion verurteilt wurde, kam Lichtenstein glimpflich davon. Er stritt noch drei Jahre in der KPD gegen die falschen Beschuldigungen, ehe die Parteiführung ihn und seine Frau 1953 aus der Partei ausschlossen.

Drei Jahre später zog Kurt Lichtenstein seine bittere politische Bilanz: „Dem Kampf gegen Unfreiheit und Unterdrückung, gegen Konzentrationslager und Geheime Staatspolizei habe ich mehr als zwölf Jahre meines Lebens geopfert. Ich war zutiefst davon überzeugt, daß nur der Faschismus solcher verabscheuungswürdigen Verbrechen fähig sei. Weil ich heute weiß, daß gleiche Verbrechen in der sogenannten DDR verübt werden, dort also verübt werden, wo die SED die Staatsgewalt ausübt, halte ich es für meine Pflicht, mich auch dagegen aufzulehnen und meine Stimme auch dagegen zu erheben. […] Ich war überzeugt, insbesondere nach 1945, daß die KPD eine Politik entwickeln und durchführen würde, die von den Interessen des Deutschen Volkes ausgeht und die den nationalen Belangen Deutschlands entspricht. […] In Wirklichkeit hat die SED, gestützt auf die Bajonette der ‚Roten Armee‘, in der Zone ein Regime des Terrors, der Willkür und der Unterdrückung errichtet.“

Nach einigen mühevollen Jahren, in denen sich Lichtenstein als Hilfsarbeiter, Fahrer, Waschmaschinenvertreter und freier Journalist durchschlug, um seine Familie mit zwei kleinen Töchtern zu ernähren, erhielt er 1958 eine Festanstellung bei der Westfälischen Rundschau als Redakteur. Im gleichen Jahr trat er der SPD bei. Im Oktober 1961 befand sich Kurt Lichtenstein mit seinem neu erworbenen roten Ford Taunus auf einer Reportagereise entlang der innerdeutschen Grenze. Er wollte darüber schreiben, wie es nach dem Berliner Mauerbau dort aussah, wo Deutschlands Landschaften durch die DDR-Grenze zerteilt waren, und wollte das Leben an der Grenze durch Interviews und Fotografien dokumentieren. Als er am Mittag des 12. Oktober 1961 auf einem befestigten Weg südlich des niedersächsischen Dorfes Zicherie entlang fuhr, sah er unmittelbar hinter der Grenze eine überwiegend aus Frauen bestehende Landwirtschaftsbrigade bei der Kartoffelernte. Erntemaschinen schleuderten die Kartoffeln aus der Erde, und die Frauen lasen sie per Hand auf. Kurt Lichtenstein hielt an, stieg aus und ging auf die LPG-Kolonne zu. Die zur Bewachung der Erntearbeiten in einer getarnten Stellung am Waldrand eingesetzten beiden DDR-Grenzpolizisten konnte er nicht sehen. Er befand sich bereits ein gutes Stück auf DDR-Gebiet, als mehrere Landarbeiterinnen ihn durch Zurufe auf die Grenzpolizisten, aufmerksam machten. Nun sah auch Lichtenstein die Grenzpolizisten aus dem Wald herauskommen. Er kehrte um und lief in Richtung der Grenze zurück.

Was dann geschah, ist durch ein Telegramm der DDR-Grenzbereitschaft Gardelegen überliefert. Diese meldete unter der Chiffre „friedrich dora die 94“ die „Festnahme eines Grenzverletzers West – DDR unter Anwendung der Schußwaffe“. Der Mann habe die Grenze überquert und sich etwa 40 Meter auf DDR-Gebiet begeben, um im 500-Meter-Streifen arbeitende Bauern der LPG Böckwitz bei der Kartoffelernte zu fotografieren. Der zur Bewachung der Bauern eingesetzte Postenführer Gefreiter Peter Sticklies und sein Posten Werner Schmidt eilten herbei und forderten den Mann auf, stehenzubleiben. Der Postenführer feuerte sogleich Warnschüsse aus seiner MPi ab. Daraufhin versuchte der Mann, wieder in den Westen zu laufen. Sticklies gab mit seiner MPi zwei Feuerstöße ab – später ist in den Stasi-Unterlagen von insgesamt 22 Schüssen die Rede – und Schmidt aus seinem Karabiner drei Schüsse. Der Mann stürzte kurz vor dem westdeutschen Gebiet zu Boden. Die beiden Posten liefen zu ihm und stellten Treffer am Schienbein und eine Handbreit unter dem Herzen fest. Sie schleiften den Verletzten vom Grenzstreifen zurück. Mehrere Bauern eilten zu Hilfe. In einer Ergänzungsmeldung teilte „friedrich dora die 94“ kurz darauf den Namen des Schwerverletzten mit. Man hatte in seiner Kleidung eine Gästekarte Nummer 1 175, die ihn zur Teilnahme an Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages berechtigte, sowie einen Presseausweis gefunden. Die MPi-Salve des Postenführers hatte auch die Windschutzscheibe des auf der westlichen Seite geparkten Ford Taunus zerschossen. Der Meldung ist weiter zu entnehmen, dass der Kompanieführer, als er am Ereignisort eintraf, Befehl gab, den Verletzten in den nahe gelegenen Wald zu bringen, damit „von westlicher Seite keine Personen diesen Vorgang beobachten konnten“. Kurz danach trafen mehrere Zollbeamte und BGS-Mitarbeiter am Ort des Geschehens ein.

Eine Liste in den Stasi-Unterlagen enthält 43 Namen von Bauern und Bäuerinnen der LPG, die zum Zeitpunkt des Geschehens im 500-Meter-Streifen arbeiteten. Heinz Schnöckel aus der LPG „Karl Marx“ Typ II Jahrstedt sagte gegenüber der Volkspolizei am 12. Oktober 1961 aus, er sei zu dem Verletzten geeilt, um zu helfen. Der Postenführer habe ihm zunächst durch Zeichen zu verstehen gegeben, dass er stehenbleiben solle. Die beiden Grenzer hätten den Verletzten mehrere Meter zurückgeschleift und ihn dann herangewinkt, um Erste Hilfe zu leisten. Es sei von seinem Traktor ein Sanitätskasten geholt worden, da die Grenzer nur kleine Verbandspäckchen bei sich hatten.

„Die Person sagte zu uns, daß sie Schmerzen in der Bauchgegend hat, klagte auch über Schmerzen im Bein. Nachdem wir das Hemd hoch genommen hatten, konnten wir sehen, dass sich unterhalb der Rippen ein Einschuß befand. Diese Wunde wurde von uns sofort verbunden. Ich stellte weiterhin fest, daß das Bein auch angeschossen war, denn es fiel immer wieder zur Seite und die Person schrie, wenn wir das Bein bewegten. Die Person sagte mehrere Male, laßt mich nicht sterben.“ Dann sei ein Offizier der Deutschen Grenzpolizei erschienen und habe alles Weitere veranlasst. Der Landwirt Gustav Lemke sagte aus, er habe gesehen, dass die Person nach den Schüssen noch auf dem „K 10“ zusammenbrach und auf dem Rand des Grabens liegenblieb. „Der Posten der DGP begab sich sofort zu dem Verwundeten und schleifte ihn über den K 10.“ Lemke, der ebenfalls zu dem Verletzten eilte, sagte auch, „daß wir die verletzte Person noch weiter vom K 10 weggetragen haben“. Nachdem die Wunden verbunden waren, habe er sich zu den Erntemaschinen begeben. „Ich habe auch noch gesehen, daß die verwundete Person von der DGP dann in Richtung Wald gebracht wurde.“

Der Posten Werner Karlheinz Schmidt sagte hernach in einer Vernehmung durch die Volkspolizei, er habe einen gezielten Schuss aus seinem Karabiner abgegeben und dann vom Waldrand aus den Postenführer gesichert, als dieser sich zu dem Verletzten begab. „Der Postenführer zog den Verletzten aus dem Graben und schleppte ihn ca. 5 m in unser Gebiet und verband ihn.“ Zwei Zöllner hätten von westlicher Seite den Vorfall beobachtet und seien zu ihrem Fahrzeug geeilt. Auch mehrere Zivilpersonen seien erschienen. Eine Frau habe den Postenführer aufgefordert, den Verletzten herüberzubringen, man sei in ein paar Minuten im Krankenhaus.

Postenführer Peter Willi Sticklies erklärte am Abend des 12. Oktober 1961 gegenüber der Volkspolizei, er habe zur Warnung mehrere Salven in die Luft abgegeben und, als der Fliehende nicht stehenblieb, gezielt aus seiner MPi gefeuert. „Mein Posten gab ebenfalls zwei gezielte Schüsse ab, die jedoch nicht trafen. Bei mir war es die letzte Salve, die getroffen hat. Der Grenzverletzer ließ die Kamera fallen und brach zusammen, direkt am Ende des K 10. Ich lief dann zu dem Verletzten und zog ihn vom Streifen herunter ca. 5–6 m auf unser Gebiet.“ Dann habe er Erste Hilfe geleistet. Einige Minuten später seien drei Traktoristen gekommen und hätten ihm geholfen. Die Frauen habe er vorher aufgefordert, die Arbeit einzustellen und das Feld zu verlassen. Sticklies sagte auch, die Frau auf der westlichen Seite habe gerufen: „Bringt doch den Mann rüber“. Sie habe ein Auto und könne ihn in wenigen Minuten ins Krankenhaus bringen. Sie habe auch gerufen, „ob ich denn kein Herz im Leibe hätte, wenn ich ein anständiger Deutscher wäre, dann würde ich ihn rüberbringen und selbst drüben bleiben“. Ein gutgekleideter Herr habe gerufen, er solle rüberkommen, er würde ihm alles geben, was er wolle. Er habe geantwortet, „daß unser Krankenwagen auch bald kommt“. Sticklies sagte weiter aus, dass auf dem Acker noch einige Frauen von der LPG waren, „die alles mit angesehen hatten“.

Bei der Frau, die von westlicher Seite das Geschehen beobachtet hatte, handelte es sich um Marie-Luise Schilling, die mit ihrer Familie eine Ausflugsfahrt im Grenzgebiet machte. Sie sagte am Tag nach dem Zwischenfall aus: „Ich sah einen Mann mit hocherhobenen Armen vom Zehnmeterstreifen in einen Graben stürzen. Ich kann nicht beschreiben, ob er gegangen oder gelaufen ist. Mir schien es, als flog er vom Zehnmeterstreifen in den Graben auf dem umgepflügten Streifen und flog von dort förmlich in den Graben. […] Zum selben Zeitpunkt, als der Mann von dem Zehnmeterstreifen in den Graben stürzte, schoß ein Uniformierter im Laufen auf den Mann. […] Die Einschläge lagen dicht vor dem Mann im Erdreich. Ich konnte das Aufspritzen der Erde erkennen. Der Uniformierte hatte die Waffe an der rechten Hüfte.“

Sie hätten sich etwas später zu der Stelle gewagt, an der sie den Mann zuletzt gesehen hatten. Man hatte ihn bereits über den Zehn-Meter-Streifen geschleift. „Dann hörten wir ihn laut und wiederholt schreien: ‚Helft mir, mein Bauch, mein Bauch!‘ Er versuchte, sich zu bewegen. Der Vopo drehte ihn auf die rechte Seite, die linke Hüfte war voller Blut, das konnten wir von der Straße aus sehen. Der Treckerfahrer deutete uns durch entsprechende Handbewegungen an, daß der Mann am Bauch und an der linken Hüfte schwer verletzt sein mußte. Wir riefen dem Vopo zu, er solle doch vernünftig sein und uns den Verletzten übergeben, damit wir ihm sofort ärztliche Hilfe zuteil werden lassen können. Seine Antwort war, er habe schon einen Krankenwagen bestellt.“

Der Unteroffizier Begner, Feldscher [Sanitäter] bei der Grenzkompanie, übergab am13. Oktober 1961 seinem Kommandeur einen „Bericht über den Provokateur Lichtenstein, Kurt“. Demnach leistete er als Sanitäter um 13.15 Uhr am Ort des Geschehens „vorärztliche Hilfe“. Nach einer Stunde und fünf Minuten traf das Sanitätsfahrzeug der Grenztruppen vor Ort ein und brachte den Verletzten nach Krätze in das dortige Krankenhaus. Dort erhielt er eine Beruhigungsspritze und zwei Kreislaufspritzen, die aber nicht mehr anschlugen. Gegen 17.50 Uhr trat der Tod ein. Eine Überführung in das Krankenhaus Gardelegen unterblieb, da der Verletzte den Transport nicht überstanden hätte. Der Kompaniechef selbst bestätigte in seiner Stellungnahme vom gleichen Tag, dass er nach dem Eintreffen vor Ort die beiden Posten zurückbeorderte und selbst weiter Erste Hilfe leistete. Er legte den Verletzten dann gemeinsam mit seinem Kraftfahrer auf eine Decke und schleppte ihn mit Unterstützung von zwei Grenzsoldaten in den etwa 100 Meter entfernten Wald. Der Verletzte habe ihm, während er den Verband anlegte, auf die Frage, was er denn hinter der Grenze wollte, geantwortet, „daß er die Arbeiten an der Kartoffelerntemaschine filmen wollte“. Im Übergabeprotokoll ist jedoch von einer Schmalfilmkamera „Rolleiflex“ mit Film die Rede.

Der Tod von Kurt Lichtenstein fand in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit große Beachtung. An seiner Beerdigung nahmen unter anderem der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen Ernst Lemmer, der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert Wehner und der Bundesvorsitzende der IG Metall Otto Brenner teil.

Nach dem Ende der DDR kam es zu Ermittlungen gegen die beiden Grenzposten, die gezielt auf Kurt Lichtenstein geschossen hatten. Das Landgericht Stendal sprach sie am 10. September 1997 aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Totschlags frei. Sie hätten ohne Tötungsvorsatz und nicht schuldhaft gehandelt. Sie seien „weder juristisch vorgebildet, noch mit einer rechtstaatlichen Rechts- und Werteordnung oder gar dem internationalen Recht vertraut“ gewesen. Bei Sticklies habe es sich „um einen durch Elternhaus und gesellschaftliches Umfeld indoktrinierten Angehörigen eines totalitären Staates“ gehandelt, „der keine akademische Ausbildung genossen hatte“, bei Schmidt um „einen allenfalls normalbegabten und politisch desinteressierten Menschen“.

An der Kreisstraße 85 südlich von Zicherie erinnert heute ein Holzkreuz und eine Informationstafel an Kurt Lichtenstein, den hier die tödlichen Schüsse trafen. Die kleine Gedenkstätte ist Teil des Grenzlehrpfades Böckwitz-Zicherie.


Biografie von Kurt Lichtenstein, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/94-kurt-lichtenstein/, Letzter Zugriff: 29.03.2024