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Biografisches Handbuch

Willy Soßdorf

geboren am 13. Februar 1935 in Völkershausen, heute Ortsteil Vacha | erschossen in der Nacht vom 20. zum 21. Dezember 1958, aus der Werra geborgen am 25. März 1959 | Ort des Vorfalls: Werra bei Philippsthal (Hessen)
BildunterschriftWilly Soßdorf
BildquellePrivat, Ilse und Herbert Gerlach
Quelle: Privat, Ilse und Herbert Gerlach
Kurz vor Weihnachten 1958 versuchte Willy Soßdorf durch die Hochwasser führende Werra in den Westen zu flüchten. Entgegen der Annahme, er sei ertrunken, stellte sich Monate später heraus, dass er durch den Warnschuss eines Grenzpostens ums Leben kam.

Willy Soßdorf wuchs als Arbeiterkind im westlichen Wartburgkreis Thüringens auf. Er war der Zweitjüngste von insgesamt neun Geschwistern. Die Familie lebte in Völkershausen, einem Ortsteil von Vacha, südlich der Werra. Der Gasthof Sachsenheim, den die Familie bewohnte, lag in direkter Grenznähe. Im Zuge des Ausbaus der Grenzanlagen ordneten die DDR-Behörden 1952 die Zwangsaussiedlung der Familie an. Einige Verwandte Soßdorfs verließen die DDR bereits 1951. Hierzu gehörte auch Herbert Gerlach, einer seiner Neffen, der oft seine Sommerferien bei seinen Verwandten in der alten Heimat verbrachte. Er erinnert sich an die täglichen Gänge zur Polizeiwache, die er wegen der Meldepflicht sogar als Achtjähriger in seinen Ferien wahrnehmen musste. Sein Onkel Willy schenkte ihm damals einen selbst gebastelten Dolch aus Messing.

Willy Soßdorf arbeitete als Bergmann in Merkers, knapp zehn Kilometer von seinem letzten Heimatort Oberzella entfernt. Als Grenzpolizeihelfer war er an der örtlichen Grenzüberwachung beteiligt. Für seine guten Arbeitsleistungen erhielt er am 19. Dezember 1958 eine Geldprämie. Der unerwartete Mehrverdienst mag ihn veranlasst haben, am 20. Dezember nach der Arbeit in ein Wirtshaus einzukehren, um die Prämie zu feiern. Vielleicht wollte er sich aber auch für sein nächtliches Vorhaben noch Mut antrinken. Spätere Ermittlungen ergaben, dass Willy Soßdorf nach dem Gaststättenbesuch nicht in sein Elternhaus zurückkehrte, sondern lediglich sein Fahrrad und seine Tasche vor dem Haus abstellte und sich dann zu Fuß in Richtung Werra aufmachte. Der Fluss führte Hochwasser, aber für eine Dezembernacht herrschten im Freien mit etwa 10 °C ungewöhnlich milde Temperaturen. Gegen 2 Uhr traf Willy Soßdorf in der Nähe einer Notbrücke über die Werra auf eine Grenzstreife. Da die Polizisten ihn kannten, ließen sie ihn passieren, obwohl er sich nicht ausweisen konnte. In einer Meldung der Grenzkompanie Oberzella heißt es, Willy Soßdorf sei zum Zeitpunkt der Kontrolle angetrunken gewesen. Kurz nach der Begegnung mit Soßdorf überprüften die beiden Grenzpolizisten eine Signalanlage am Ufer der Werra. Plötzlich vernahmen sie Geräusche vom Fluss her und entdeckten einen Schwimmer im Fluss. Sie riefen „Halt!“, und einer von ihnen gab nach eigenen Angaben einen Warnschuss ab, als die Person bereits unter der Werrabrücke hindurchgeschwommen war. Eine auf der westdeutschen Seite eingesetzte Streife des Bundesgrenzschutzes vernahm hingegen in dieser Nacht auf der östlichen Seite des Flussufers Kommandorufe und mehrere Schüsse. Nach Tagesanbruch entdeckten DDR-Grenzpolizisten bei der Untersuchung des Zehn-Meter-Kontrollstreifens am Flussufer Fuß- und Rutschspuren an der Uferböschung.

Die DDR-Grenzpolizei nahm offenbar an, Soßdorf sei die Flucht geglückt, denn auf seiner Einwohnerkarteikarte findet sich ein handschriftlicher Vermerk mit dem Hinweis, er sei am 20. Dezember 1958 illegal nach Westdeutschland verzogen. Über drei Monate nach seinem Verschwinden fand man am 25. März 1959 am Wehr des Wasserkraftwerkes des Kaliwerkes Hattorf in Philippsthal eine männliche Leiche, bei der es sich um die sterblichen Überreste Willy Soßdorfs handelte. Die in Philippsthal ausgestellte Sterbeurkunde enthält die handschriftliche Bemerkung „Tod durch Ertrinken wahrscheinlich. Verwesungszustand der Leiche ermöglicht durch Inspektion keine genaue Todesursache. Fragliche postmortale Verletzung linke Augenbraue“. Die staatsanwaltlich angeordnete Obduktion der Leiche Willy Soßdorfs ergab jedoch als Todesursache einen Kopfschuss. Anwohner eines nahe dem Ufer gelegenen Hauses wollen in der besagten Nacht die Rufe „Nicht schießen!“ vernommen haben, dann Schüsse und ein Klatschen, als falle ein Körper ins Wasser.

Nach dem Fund der Leiche Willy Soßdorfs vermutete die Kriminalpolizei in Bad Hersfeld einen Zusammenhang mit einem zweiten Todesfall. Anfang Januar 1959 war ganz in der Nähe die 19-jährige Christa Nennstiel aus Dorndorf (Rhön) tot aus der Werra geborgen worden. Augenzeugen wollen Christa Nennstiel und Willy Soßdorf in Vacha am Abend des 20. Dezember 1958 noch in einer Gaststätte zusammen gesehen haben. Das Paar sei nach einem Streitgespräch mit einem Volkspolizisten abrupt aufgebrochen. In einem Artikel der Bild-Zeitung vom 28. März 1959, der auf Angaben von Bürgern aus Vacha beruht, wird über eine gemeinsame Flucht von Christa Nennstiel und Willy Soßdorf spekuliert. Ob jedoch diese Version des Geschehens zutraf, bleibt bis heute ungeklärt.


Biografie von Willy Soßdorf, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/89-willy-sossdorf/, Letzter Zugriff: 29.03.2024