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Biografisches Handbuch

Bernd Schaffner

geboren am 11. Januar 1950 in Hildburghausen | erschossen am 27. August 1977 | bei Slatograd
BildunterschriftBernd Schaffner
BildquelleArchiv Stefan Appelius
Quelle: Archiv Stefan Appelius
Gemeinsam mit seinem Freund Rudi Nettbohl unternahm der 27-jährige Bernd Schaffner am Nachmittag des 27. August 1977 einen Fluchtversuch über die bulgarische Grenze nach Griechenland. Dabei lösten sie eine Signalanlage aus. Herbeigeeilte bulgarische Grenzsoldaten eröffneten aus 80 Meter Entfernung das Feuer auf die beiden Flüchtlinge.

Bernd Franz Schaffner kam am 11. Januar 1950 als Sohn des selbständigen Möbellackierers Heinz Schaffner (Jg. 1924) und seiner Frau Edelgart, geb. Wöhner (Jg. 1929), in Hildburghausen zur Welt. Sein Vater Heinz Schaffner war Mitglied der NDPD. Sein Onkel Franz Schaffner (Jg. 1926) flüchtete 1955 aus der DDR. Er arbeitete später als Werkzeugmacher in Stuttgart und besuchte mehrfach seinen Bruder in der DDR. Bernd Schaffner besuchte zunächst die Zentrale Oberschule Hildburghausen, die er 1965 nach der 10. Klasse abschloss, um bei der ortsansässigen Firma Frommhold eine Lehre als Heizungsinstallateur anzutreten. Nach Auflösung dieser Firma setzte er seine Ausbildung im VEB Baureparatur bis zum Facharbeiterabschluss fort. Im Mai 1969 starb seine Mutter wenige Tage nach ihrem 40. Geburtstag. Am 3. November 1969 begann Bernd Schaffner seinen Dienst als Soldat auf Zeit bei der Nationalen Volksarmee (NVA). Da er sich im Armeesport beim Gewichtheben eine Rückenverletzung zuzog, wurde er am 3. Dezember 1969 freigestellt. Er kehrte zunächst in seinen alten Betrieb VEB Baureparatur zurück, arbeitete danach einige Zeit beim VEB Zentralheizungsbau in Suhl und zog von dort wieder in seine Heimatstadt Hildburghausen, um dort am 1. August 1974 im VEB Schrauben- und Normteilwerk eine Stelle als Bauschlosser anzutreten.

In einer Beurteilung durch die Kaderleiterin des Betriebes vom Februar 1975 heißt es, Schaffner arbeite gut, er könne Reparaturen an Versorgungsanlagen selbständig ausführen, er müsse aber noch mehr Eigeninitiative zeigen. Sein Auftreten gegenüber Kollegen und Vorgesetzten sei korrekt und höflich. Seine „politisch-ideologische Haltung“ wurde als gut bezeichnet, er war Mitglied des FDGB, der DSF und der neugewählte Kassierer der FDJ-Gruppe der Brigade. Engere freundschaftliche Beziehungen zu Arbeitskollegen habe er jedoch nicht unterhalten.

Seit 1973 war Bernd Schaffner mit seiner großen Liebe, der Apothekerin Christine P. aus Schleusingen, verlobt. Nach Angaben seines Bruders ging das Verhältnis wegen des ungleichen Bildungsniveaus in die Brüche. Über die gescheiterte Beziehung zu Christine P. sei Bernd Schaffner nicht hinweggekommen, Beziehungen zu anderen Frauen hielten nur kurze Zeit. Auch nachdem seine ehemalige Verlobte mit ihrem Ehemann über Bulgarien nach Westdeutschland geflüchtet war, habe er den Trennungsschmerz nicht überwunden.

Im Februar 1975 delegierte der VEB Schrauben- und Normteilwerk Bernd Schaffner „aufgrund seiner guten Leistungen“ zu einem Meisterlehrgang an die Bezirksakademie des Bauwesens in Suhl. Während seine Leistungen in den Fächern Sozialistische Betriebswirtschaft und Arbeitswissenschaft mit der Note gut bewertet wurden, erzielte er in den Fächern Grundlagen der marxistisch-leninistischen Philosophie, Grundlagen der politischen Ökonomie und Wissenschaftlicher Kommunismus sowie Lehren des Kampfes der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung nur befriedigende Ergebnisse. Während eines Lehrgangs am Zentralinstitut für Schweißtechnik in Halle musste er sich wegen unentschuldigten Fehlzeiten – er hatte einen Prüfungstermin verschlafen – einem Verfahren vor der Disziplinarkommission stellen, das mit einem disziplinarischen Verweis endete. Nachdem er die Prüfung nachgeholt hatte erhielt er im Juli 1977 seinen Meisterbrief für Heizung, Lüftung und Sanitärtechnik.

Bernd Schaffner lebte zu dieser Zeit in einer gemeinsamen Wohnung mit seinem Bruder Bodo. Finanziell stand er mit einem Monatsverdienst von 700,- Mark gut da. Durch private Installationsarbeiten verdiente er sich nach Feierabend noch Geld hinzu. Zeitweise besaß er einen PKW „Saporoshez“ aus ukrainischer Produktion, war dann aber auf ein Moped umgestiegen. In seiner Freizeit besuchte Bernd Schaffner gelegentlich Tanzveranstaltungen. Bei der Betriebssportgemeinschaft, BSG Motor ESKA Häselrieth, spielte er Handball. Das Kürzel ESKA stand für Erzgebirgische Schraubenwerke Karl-Marx-Stadt. Im Sportverein lernte er Rudi Nettbohl kennen und freundete sich mit ihm an. Wann genau sich die beiden zur Flucht aus der DDR entschlossen, ist nicht bekannt.

Im Juli 1977 verkaufte Bernd Schaffner sein Moped. Die für ihn vorgesehene Meisterstelle in der Schraubenfabrik Hildburghausen trat er nicht an, sondern kündigte am 5. August 1977 sein dortiges Arbeitsverhältnis mit der Begründung, er habe kein Interesse an der Übernahme einer Meisterposition. Etwa eine Woche bevor er sich am 17. August 1977 mit Rudi Nettbohl auf den Weg nach Bulgarien machte, verschenkte Bernd Schaffner an seinen Bruder Bodo einen Rasierapparat und ein Kofferradio. Sein Tonbandgerät brachte er zu Rudi Nettbohl. Das führte später bei Rudi Nettbohls Mutter zu der Vermutung, ihr Sohn habe gar keine Fluchtabsichten gehabt, sondern sich lediglich bereit erklärt, seinen Freund mit dem Motorrad an die bulgarisch-griechischen Grenze zu bringen.

Wie die Flucht dort scheiterte, kann nur durch diverse Berichte der DDR-Botschaft Sofia und aus bulgarischen Untersuchungsakten rekonstruiert werden. Der II. Botschaftssekretär, DDR-Konsul Kurt Spörl, rief am 29. August 1977 im DDR-Außenministerium an und teilte eine „Grenzverletzung durch DDR-Bürger mit tödlichem Ausgang“ mit. Am folgenden Tag telegrafierte Spörl nach Ost-Berlin, er sei durch den Leiter der Untersuchungsabteilung des bulgarischen Innenministeriums Simow „eingehend über das Geschehnis, welches er mir anhand einer Akte mit Zeichnungen und Fotos erläuterte“, informiert worden. Demnach habe eine Bauersfrau, den Grenzorganen am 24. August gemeldet, dass sich zwei junge Männer „verdächtig im Grenzgebiet bewegten“. Daraufhin wurde Alarm ausgelöst, was die beiden Männer offenbar bemerkt hatten, denn sie hielten sich danach für ca. drei Tage versteckt. Da die zuständigen Stellen an der Mitteilung der Bauersfrau zweifelten, hoben sie die Alarmstufe wieder auf. Am Nachmittag des 27. August 1977 hätten die beiden Männer einen Grenzzaun bei Slatograd überwunden und sich in Richtung Griechenland bewegt. Dabei durchtrennten sie die Signaldrähte und lösten einen Alarm aus. Als herbeigeeilte Grenzsoldaten an der Stelle der Alarmauslösung eintrafen, entdeckten sie zwei Personen, die auf Warnrufe angeblich nicht reagierten, sondern versuchten auf getrennten Wegen in einen nahegelegenen Wald zu flüchten. „Daraufhin wurde vom Offizier Schießbefehlt gegeben. Kurz vor Erreichung des dichten Waldes, in Richtung Griechenland, erhielten beide tödliche Verletzungen.“ Simow habe um Klärung gebeten, ob eine Überführung der Toten in die DDR erfolgen solle. Es sei für die Angehörigen auch möglich, die Leichen „vor der Überführung oder Beisetzung in Sofia zu sehen“. Simow habe auch nach näheren Angaben zu den beiden Getöteten gefragt.

Am 30. August 1977 telefonierte die MfAA-Sachbearbeiterin Ursula Gott mit dem Leiter der MfS-Untersuchungsabteilung Oberstleutnant Peter Pfütze und erhielt von ihm die Anweisung, „es bei der alten Entscheidung zu belassen, d.h. Beisetzung in Sofia“. Frau Gott informierte darüber am folgenden Tag ihren Chef August Klobes, den Leiter der Hauptabteilung für Konsularwesen und teilte ihm mit: „Gen Spörl ist zu informieren, daß Beisetzung in Sofia erfolgen soll.“ Sie habe mit Konsul Spörl bereits abgesprochen, daß dies in Sofia veranlasst wird „und wir schnellstens Tag der Beisetzung, Friedhof und Grabstelle erfahren“.

Ebenfalls am 30. August 1977 ging in der Hauptabteilung Konsularische Beziehungen ein Telegramm des stellvertretenden Vorsitzenden der Abteilung Inneres aus Hildburghausen Geier ein, der „umgehende Informationen über die tödliche Verletzung der Bürger Rudolf-Ernst Nettbohl und Bernd Schaffner“ erbat. Diese Angaben würden für die Benachrichtigung und Information der Angehörigen dringend benötigt. Das MfAA antwortete telegrafisch und versprach die briefliche Zusendung der Informationen. Das „Nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnete Schreiben von Hauptabteilungsleiter Klobes enthielt die Angabe, Rudi Nettbohl und Bernd Schaffner seien „bei der strafbaren Handlung, die DDR ungesetzlich über die VR Bulgarien zu verlassen, bei dem Versuch eines Grenzdurchbruchs nach Griechenland, unter Zerströrung von Anlagen, erschossen“ worden. „Es muß davon ausgegangen werden, daß nach Abschluß der Untersuchung – entsprechend der bulgarischen Gesetzgebung – sofortige Beisetzung in der VRB angeordnet wird bzw. bereits erfolgt ist.“

Unmittelbar nachdem sich die beiden Todesfälle in Hildburghausen herumsprachen, ging man zunächst von einem Verkehrsunfall aus. Die FDJ-Gruppe des Ortsteils Wallrabs begann Geld für einen Kranz zu sammeln. Die Sammlung wurde sofort eingestellt, nachdem durch die Mutter von Rudi Nettbohl die Gründe für den Tod der beiden jungen Männer bekannt geworden waren.

Ein bulgarischer Bauer entdeckte wenig später in einem Waldstück das dort versteckte Motorrad Rudi Nettbohls. Die Bezirksverwaltung Smoljan des bulgarischen Staatssicherheitsdienstes telegrafierte am 20. September 1977 nach Sofia: „Am 27.8.1977 wurden beim Versuch zur Überwindung der bulgarisch-griechischen Grenze die DDR-Bürger liquidiert: Rudolf Ernest Nettbohl, geboren am 2.3.1956 und Bernd Franz Schaffner, geboren am 11.1.1950, die beide aus Hildburghausen-DDR stammen. Am 16.9.1977 um 11 Uhr wurde in der Gegend ‚Barakov dol‘, 3 km auf dem Weg Nedelino-Zlatograd in einer Schlucht ein verstecktes Motorrad ‚M-250‘ № OD 64-87” gefunden, mit dem die Verletzer in Richtung der Grenze reisten. Auf dem Motorrad wurden Gegenstände gefunden, die im anliegenden Verzeichnis aufgelistet sind. Das Motorrad und die Gegenstände sind in der Bezirksverwaltung DS Smoljan in Verwahrung.“

DDR-Konsul Kurt Spörl übersandte dem DDR-Außenministerium am 29. September 1977 ein ausführliches bulgarisches Protokoll über den Grenzzwischenfall und die bulgarischen Sterbeurkunden für Bernd Schaffner und Rudi Nettbohl. Der aus dem Bulgarischen übersetzten Sterbeurkunde Nr. 60 für Bernd Franz Schaffner ist zu entnehmen, dass sie von der „Amtsperson für das Personenstandswesen” Sheljasko Trandafilow Schechow des Volksrates Slatograd Bezirk Smoljan unterzeichnet wurde. Als Anzeigeperson wird Georgi Markow Ichtjarow, 34 Jahre, aus Slatograd benannt. Der Eintritt des Todes sei am 27. August 1977 um 15.40 Uhr erfolgt. „Todesursache: Verletzung durch Feuerwaffe“. Der Totenschein Nr. 74 wurde von dem Gerichtsmediziner Dr. Slatko Nikolew Kolew ausgestellt, er gibt als Todesursache an „Hämorrhagie acuta ruptura pulmonis dextra et arterie femoralis sinistra vulnera sclopetarii thoracis et cruris sinistra“. Zwei kurze Passagen zur Todesursache fügte Spörl in Übersetzung bei. Demnach starb Bernd Schaffner an Geschosstreffern in der rechten Lunge und im linken Oberschenkel. Durch den starken Blutverlust sei der Tod unmittelbar eingetreten. Rudolf Nettbohl sei durch ein Geschoß getötet worden, das beide Lungen, das Herz und die Leber verletzte.

Ursula Gott wies das Standesamt I Berlin an, neue Sterbeurkunden für Rudi Nettbohl und Bernd Schaffner auszustellen. In diesen Urkunden ist die lediglich der Todeszeitpunkt aus dem bulgarischen Dokument übernommen worden und als Todesort Slatograd, eine Todesursache ist nicht angegeben. Der Rat des Kreises Hildburghausen händigte am 11. November 1977 nach wiederholten Nachfragen diese Todesurkunden den Eltern aus.

Am 12. November 1977 hielten die Pastorin Ross und Pfarrer Steinert auf Bitte der Familien in Hildburghausen eine Andacht für Rudi Nettbohl und Bernd Schaffner ab. Die Trauerhalle war überfüllt. Schulfreunde und Arbeitskollegen waren gekommen, auch Sportskameraden der beiden und fünf MfS-Leute.

Nach jahrelangen beharrlichen Bemühungen des Vaters und der Schwester Bernd Schaffners sowie vor allem von Rudi Nettbohls der Mutter erfolgte am 30. Januar 1981 die Überführung der sterblichen Überreste ihrer Söhne in die DDR. Die Eltern hatten sich zuvor bereit erklären müssen, sämtliche Kosten der Exhumierung und Überführung zu begleichen. Bernd Schaffner wurde im Grab seiner Mutter beigesetzt.


Biografie von Bernd Schaffner, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/415-bernd-schaffner/, Letzter Zugriff: 29.03.2024