Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
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Biografisches Handbuch
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Alois Huber

geboren am 8. Januar 1915 in Lam (Oberpfalz) | erschossen am 17. November 1953 an der tschechoslowakischen Grenze | bei Untergrafenried

Alois Huber kam am 8. Januar 1915 in Lam (damals Landkreis Kötzing, heute Landkreis Cham, Bayern) als Sohn des katholischen Ehepaars Alois und Rosina Huber zur Welt. Er heiratete 1939 Magdalena Paulsen. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Die Familie lebte in Untergrafenried (heute Teil der Gemeinde Waldmünchen, Kreis Cham, Bayern). Dort gehörte Alois Huber der Bayerischen Grenzpolizei an, deren örtliches Grenzkommando er zuletzt leitete. Die Bewohner des benachbarten Grafenried im Böhmerwald wurden 1950 vertrieben und der Ort unter seinem tschechischen Namen Lučina ein Grenzposten des tschechoslowakischen Grenzschutzes.

Der ČSR-Nachrichtendienst versuchte n den 1950er Jahren, Informanten und Verbindungsleute jenseits des Eisernen Vorhangs anzuwerben. Zu einer solchen Rekrutierungsaktion trafen am 13. November 1953 in Grafenried die Mitarbeiter des tschechoslowakischen Militärischen Abwehrdienstes František Korbel und Krejsa ein. Beide hatten den Auftrag, eine Anwerbungsoperationen mit Unterstützung der Grenzsoldaten des Grenzpostens Lučina auszuführen. Korbel und Krejsa trugen Zivilkleidung über die sie sich Militärmäntel übergezogen hatten und waren mit Maschinenpistolen bewaffnet. Für die beabsichtigte Anwerbung von Kontaktleuten auf der bayerischen Seite, wurde dem Geheimdienstmann Krejsa der Kommandeur des Grenzposten Pavelek als Begleiter zugeteilt, Korbel machte sich mit dem ebenfalls geländekundigen Unteroffizier Čermák gegen 11:00 Uhr auf den Weg zur Staatsgrenze. Sie bewegten sich entlang der Grenze, bis sie einen pflügenden Bauer aus Untergrafenried auf der bayrischen Seite ausmachten. Korbel, der erst seit relativ kurzer Zeit im Militärgeheimdienst tätig war, bückte sich und rief dem Bauer zu, dass er etwas auf dem Boden gefunden habe, was ihm wohl gehören könnte. Als der Bauer zur Grenze kam, stellte er fest, dass dies nur ein Vorwand war, um ihn zur Grenze zu locken. Korbel bat den Bauern, ihm „einen kleinen Dienst“ zu erweisen, der bezahlt würde. Der Bauer namens Alois Schneider nickte und bekam von Korbel 50,- DM mit der Bitte, ihm für 20,- DM Zigaretten und Zeitschriften zu kaufen. Den Rest könne er für sich behalten. Ein nächstes Treffen mit Schneider wurde für den 17. November um 12:00 Uhr an der Grenze vereinbart. Diese Uhrzeit schlug Schneider vor, da zu dieser Zeit die bayerischen Grenzpolizisten ihre Mittagspause machten und die Grenze auf deutscher Seite unbewacht war.

Am 17. November 1953 wurden die beiden Geheimdienstleute Korbel und Krejsa auf dem Grenzposten Grafenried erwartet. Eigentlich sollten sie um 9:00 Uhr mit dem Fahrzeug aus Prag eintreffen. Ihre Ankunft verzögerte sich jedoch um eine Stunde. Nun war Eile geboten. Korbel und Krejsa, die beide wieder mit Maschinenpistolen bewaffnet waren, teilten dem Kommandeur des Grenzpostens Pavelek mit, dass wieder zwei Aktionen geplant seien. Eine am Grenzstein Nr. 19 die andere am Grenzstein Nr. 17. Pavelek machte sich mit Krejsa auf den Weg, Korbel wurde von dem ortskundigen Unteroffizier Jaroslav Straka begleitet, dem sich Korbel unter dem Decknamen „Franta“ vorstellte. Straka trug seine Grenzeruniform, Korbel hatte sich wieder einen Militärmantel über die Zivilkleidung gezogen und eine Feldmütze mit Hoheitszeichen aufgesetzt. Straka brachte Korbel zum Grenzstein Nr. 19, der sich an einer Stelle im Wald befand, die von bayerischer Seite nicht einsehbar war. Straka öffnete mit einem Schlüssel einen Durchlass im Grenzzaun. Beide überquerten sodann die Staatsgrenze. Straka warnte Korbel noch vor dem Betreten des westdeutschen Gebiets. Doch der wollte unbedingt rechtzeitig den mit Schneider vereinbarten Treffpunkt erreichen und bestand auf der Fortsetzung des eingeschlagenen Weges durch das dicht bewachsene Waldgebiet. Als sie sich etwa einen Kilometer ins bayrische Landesinnere bewegt hatten, drängte Straka mehrmals zur Rückkehr auf tschechoslowakisches Staatsgebiet. Auf dem Rückweg bemerkten sie dann in ca. 150 Meter Entfernung Schneider, der sich in Begleitung seiner Frau Marie auf dem Weg in Richtung des Treffpunktes befand. Sie traten daraufhin an einer Stelle aus dem Wald, die nur wenige Meter von einem Beobachtungsposten der bayerischen Grenzpolizei entfernt war. Der dort eingesetzte Polizeihauptwachmeister und Leiter der Polizeistation Untergrafenried Alois Huber vernahm das Knacken von Ästen und entdeckte Korbel und Straka. Er nahm seinen Karabiner in Anschlag und rief: „Halt! Hände hoch! Was machen sie hier?“ Korbel antwortete, sie hätten sich bei der Vermessung der Grenze verlaufen und die Orientierung verloren. Unteroffizier Straka, der kein Deutsch sprach, zog in diesem Moment seine Maschinenpistole. Huber forderte die beiden Männer auf, sich mit ihm zur Grenzpolizeiwache nach Untergrafenried zu begeben. Das Ehepaar Schneider, bemerkte die bedrohliche Situation und kehrte um. Huber forderte die beiden Tschechen auf, ihre Waffen niederzulegen. Als Straka versuchte, sich zu entfernen, richtete Huber seinen Karabiner auf ihn. In diesem Moment eröffnete Korbel das Feuer aus seiner Maschinenpistole. Von einer MPI-Garbe aus unmittelbarer Nähe getroffen brach Alois Huber zusammen. Korbel und Straka ließen Huber liegen und liefen über die etwa 26 Meter entfernte Grenze. Auf der Grenzwache traf der sichtlich erschütterte Korbel auf seinen Kollegen Krejsa, der bereits von seiner Grenzaktion zurückgekehrt war. Die beiden Geheimdienstler fuhren dann zum Hauptquartier der Grenzbrigade in Poběžovice (Ronsperg). Die Besatzung des Grenzposten Grafenried rückte unterdessen aus, um zu beobachten, was auf der deutschen Seite geschah. Dort war die Untersuchung am Tatort bereits in vollem Gang. Marie und Alois Schneider hatten in Untergrafenried die bayerischen Grenzpolizisten Hering und Schlagbauer alarmiert. Am Tatort wurde bei der Leiche Alois Hubers dessen Dienstwaffe sichergestellt, aus deren Magazin keine Patrone fehlte. Der Leichnam Hubers wurde nach Waldmünchen zur Obduktion überführt. Dabei stellten die Obduzenten 8 Einschüsse im Brustbereich fest, die das Herz und andere innere Organe sowie die Wirbelsäule durchschlagen hatten. Alois Huber hinterließ seine Frau Magdalena und vier Kinder im Alter von 18 Monaten bis 15 Jahren.

In Poběžovice (Ronsperg) trafen sich unterdessen die Spitzen des tschechoslowakischen Grenzschutzes und des Abwehrdienstes, um den Fall unter der Leitung des Generalmajors der Grenzwache Ludvík Hlavačka zu besprechen. Korbel schilderte den Tathergang. Dann brachten ihn seine Kollegen aus dem Militärgeheimdienst mit dem Fahrzeug nach Prag. Die dortige Untersuchung konstatierte „grobe Disziplinarverstöße und die Nichtbeachtung der staatlichen Disziplinarordnung“ durch Korbel. Er erhielt – unter Berücksichtigung seiner Unbescholtenheit und ansonsten gewissenhafter Dienstausführung – 15 Tage Hausarrest. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bezogen sich nicht auf die Erschießung des bayerischen Grenzpolizisten, sondern vor allem auf die fahrlässige Vorbereitung der geheimen Grenzaktion, auf die Grenzverletzung und die Dekonspiration vor den Soldaten der Grenzwache. Die Besatzung des Grenzpostens Grafenried führte in der Nacht nach der Erschießung Alois Hubers unter dem Codenamen “Täuschende Grenzüberschreitung” ein Vertuschungsmanöver aus, in dessen Verlauf Leuchtraketen und Böller eine bewaffnete Auseinandersetzung simulierten.

Die deutsche Seite forderte umgehend ein Treffen mit Verantwortlichen des tschechoslowakischen Grenzschutzes und eine Erklärung zu dem bewaffneten Übergriff zweier tschechoslowakischer Grenzsoldaten auf deutschem Territorium. Zu dem Treffen kam es am 21. November 1953 an der Grenze bei Furth im Wald. Die tschechoslowakische Seite wies alle Vorwürfe zurück und forderte von der bayerischen Seite, sich doch auf jene Grenzübertritte aus ihrem Verantwortungsbereich zu konzentrieren, die mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsmacht regelmäßig zu Spionageaktionen und „terroristischen Aktivitäten in der Tschechoslowakei“ erfolgten.

Ebenso wies die tschechoslowakische Regierung die Protestnote des stellvertretenden Hohen Kommissars der USA für Deutschland, Walter C. Dowling, vom 28. Januar 1954 zurück, die der tschechoslowakischen Militärmission in Berlin-Dahlem übergeben wurde. In Dowlings Note sind auch Zeugenaussagen mit Täterbeschreibungen erwähnt. Die Zeugen hätten die beiden Uniformierten auch begrüßt, seien jedoch ignoriert worden. Kurz danach hörten sie die Schüsse aus einer Maschinenpistole. Andere Zeugen, die Schneiders, hörten kurz vor dem Beschuss auch das Opfer „Halt!, Grenze“ rufen. Die Zeugen hätten auch die Leiche Hubers erblickt. Die Note verurteilte außerdem die Hass-Propaganda der tschechoslowakischen Presse, die Grenzwachen zu solch unmenschlichem Vorgehen anstachele und forderte eine Entschädigung für die Familie Hubers. Die tschechoslowakischen Behörden bestritten den Waffengebrauch wie auch den Grenzübertritt von Angehörigen ihrer Streitkräfte und kritisierten die Protestnote wegen Mangels an Beweisen. Sie forderte eine Untersuchung darüber, ob Huber von Personen, die sich in Deutschland aufhielten, ermordet wurde. Ebenso wurde jedwede „Hass-Propaganda“ als Missbrauch des Vorfalls gegen die Tschechoslowakei zurückgewiesen.

Korbel setzte seine nachrichtendienstliche Tätigkeit vor allem im Ausland fort – in Ägypten, Deutschland und der Schweiz. Er erhielt gute Kaderbewertungen durch seine Vorgesetzten. Das Dienstvergehen von 1953 wurde drei Jahre später in Anbetracht seiner „initiativen Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit an seinem Arbeitsplatz“ aus dem Strafregister gelöscht. Im Jahr 1961 erfolgte seine Versetzung in die Reserve. Er kam dann als Handelsrat für das tschechoslowakische Handelsministerium in Italien zum Einsatz und arbeitete später bis zu seiner Verrentung im Jahr 1990 im Forschungsinstitut der internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

Das 1995 in der Tschechischen Republik eingerichtete Amt für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus nahm 1996 die Ermittlungen zum Todesfall von Alois Huber auf und erhob gegen František Korbel den Vorwurf des Mordes. Die Ermittlungen führten schließlich 1998 zur Verurteilung Korbels zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren. Korbel bestritt die Mordvorwürfe und behauptete, er hätte nur ein paar Schüsse auf die Beine Hubers abgegeben. Gewisse „Diversanten“ seien für dessen Tod verantwortlich gewesen. Seine Anwesenheit an der Grenze begründete er mit der Vermessungs- und Markierungsarbeiten an der Grenze. Als Zeugen sagten gegen ihn allerdings sein damaliger Begleiter Straka und der damalige Kommandeur des Grenzpostens Pavelek aus. Als Zeugen wurden auch ehemalige Grenzer Bressler und Ambrož gehört. Letzterer diente 1953 als Kommandeur der Grenzbrigade Poběžovice. Korbel legte gegen das Urteil Berufung ein, der das Prager Obergericht am 28. September 1998 nicht stattgab. Die eigentlich verjährte Straftat konnte aufgrund des § 5 des Gesetzes Nr. 198/1993 Slg. über die Rechtswidrigkeit des kommunistischen Regimes verhandelt werden. An dem Prozess nahm Alois Hubers Tochter Edda Bock als Nebenklägerin teil.

Alois Huber wurde 1953 mit allen Ehren beigesetzt. An der Stelle des Zwischenfalls wurde ein Gedenkstein für ihn errichtet. Magdalena Huber erhielt nach mehreren Jahren vom Bayerischen Rechnungshof die Mitteilung, sie habe jahrelang erhöhte Rentenbezüge erhalten. Ihr Mann habe zwar die Prüfung zum Hauptwachtmeister bestanden, er sei aber erschossen worden, bevor er die dienstliche Urkunde erhalten hatte. Eine Beförderung sei demzufolge nicht rechtskräftig erfolgt. Entschädigungsgesuche der Familie an das tschechische Verteidigungsministerium blieben ohne Erfolg, Das Prager Kreisgericht wies die geforderte Entschädigungssumme in Höhe 160 000,- € im Jahr 2010 ab. Eine ähnliche Entscheidung hatte auch das Prager Stadtgericht gefällt. Beide Gerichte beschäftigten sich mit dem Fall unter dem Gesichtspunkt der damaligen deutschen Rechtslage, die eine dreißigjährige Verjährungsfrist enthielt. Die Tschechische Republik könne auch deshalb für Korbels Verbrechen nicht in Regress genommen werden, da seine Tat nicht in staatlichem Auftrag erfolgte.

Autor:
MZ
Recherche:
AH, jk, jos.
Quellen:
  • Archiv bezpečnostních složek, f. Sekretariát ministra vnitra I. díl (A 2/1), inv. j. 559, Incident u 9. roty pohraniční brigády na státní hranici – zastřelení příslušníka Grenzpolizei [Archiv des Sicherheitsdienstes, f. Sekretariat des Innenministeriums 1. Teil (A 2/1), Inv. Inventareinheit 559, Zwischenfall bei der 9. Brigade des Grenzschutzes an der Staatsgrenze – Erschießung eines Mitglieds der Grenzpolizei]
  • Archiv Ministerstva zahraničních věcí, f. Teritoriální odbory – obyčejné (TO-O) [Archiv des Außenministeriums, f. Territoriale Abteilungen – Allgemeines (TO-O)]
  • Úřad dokumentace a vyšetřování zločinů komunismu, Vyšetřovací spis ÚDV 13/1996/Vt [Behörde für Dokumentation und Untersuchung von Verbrechen des Kommunismus, Ermittlungsakte ÚVD 13/1996/Vt] https://www.policie.cz › korbel-frantisek-pdf
  • Eine ausführliche Darstellung von Martin Pulec über den Todesfall Alois Huber findet sich in tschechischer Sprache auf der Internetseite https://www.ustrcr.cz/uvod/dokumentace-usmrcenych-statni-hranice/usmrceni-statni-hranice-portrety/huber-alois/
  • PULEC, Martin. Operace československých zpravodajských služeb na státních hranicích po roce 1948. In: Sborník Archivu bezpečnostních složek, 6/2008, S. 158-164.
  • Über den Prager Prozess gegen František Korbel berichtete 1998 auch die deutsche Presse, siehe u.a. Markus Krischer: Die Zeit war grausam. Nach fast 45 Jahren wurde ein Mord an der bayerisch-tschechischen Grenze aufgeklärt. Der Focus Nr. 40 / 1998. https://www.focus.de/politik/deutschland/die-zeit-war-grausam-kalter-krieg_id_2524621.html
  • Pavel Žáček, Bernd Faulenbach, Ulrich Mählert (Hrsg.): Die Tschechoslowakei 1945/48 bis 1989. Studien zu kommunistischer Herrschaft und Repression, Leipzig 2008, S. 148.
  • Karel Vodička: Die Prager Botschaftsflüchtlinge 1989. Geschichte und Dokumente, Göttingen 2014, S. 297.
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Abkürzungsverzeichnis
Name
Huber, Alois
Geschlecht
männlich
Geburtsdatum
8. Januar 1915
Geburtsort
Lam (Oberpfalz)
Letzter Wohnort
Untergrafenried
Staat des Vorfalls
Bundesrepublik
Region des Vorfalls
Oberpfalz
Ort des Vorfalls
Grenze bei Untergrafenried
Todesursache
Schusswaffen
Datum des Vorfalls
17. November 1953
Todesalter
38
Teilprojekt
verbündete Ostblockstaaten
Fallgruppe
Todesfälle bei Kontrollen
Personengruppe
Grenzpersonal / Bundesrepublik
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