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Biografisches Handbuch

Dirk Glienke

geboren am 13. Mai 1967 in Berlin | ertrunken zwischen dem 10. und dem 15. November 1988 | Ort des Vorfalls: Ostsee zwischen Heiligendamm und Rerik
Dirk Glienke versuchte am 10. November 1988, zusammen mit drei Freunden, per Faltboot von Heiligendamm aus die Insel Fehmarn in der Bundesrepublik zu erreichen. Er bezahlte diesen Fluchtversuch mit seinem Leben. Seine Leiche wurde am 15. November 1988 am Strand von Rerik aufgefunden.

Am 13. Mai 1967 kam Dirk Uwe als zweites Kind der Familie Glienke in Berlin zu Welt. Er erlernte den Beruf des Facharbeiters für Betriebsmess-, Steuerungs- und Regelungstechnik. Gemeinsam mit seiner Freundin lebte er Ende der 1980er Jahre in einer Wohnung in Berlin-Friedrichshain. Anfang des Jahres 1988 wollte er einen Ausreiseantrag aus der DDR stellen. Auch Teile seines Freundeskreises hofften darauf, im Westen ein besseres Leben führen zu können, Neues kennenzulernen, zu Reisen, Abenteuer zu erleben. Mit seinem Schulkameraden Thorsten Schallau sowie zwei weiteren Freunden verbrachte Dirk seine Freizeit in Diskotheken oder auf gemeinsamen Wochenendfahrten oder Urlauben. Seine Begeisterung für den Wassersport konnte er mit seinem eigenen Boot auf dem südöstlich von Berlin gelegenen Zeuthener See ausleben. Hier verlebte die Freundesclique gemeinsam die Pfingsttage 1988.

Im Spätsommer des Jahres verfestigte sich bei den vier jungen Männern die Idee, die DDR auf illegalem Wege zu verlassen. Die zu dieser Zeit mehrfach im West-Fernsehen gesendeten Berichte über geglückte Grenzübertritte über die Ostsee brachten die Gruppe darauf, ebenfalls diesen Weg zu wählen. Im September 1988 fassten sie zu viert in Dirk Glienkes Wohnung den Plan, mit Paddelbooten auf die Insel Fehmarn zu gelangen. Thorsten Schallau wollte jedoch zunächst seinen Grundwehrdienst bis Ende Oktober in der NVA ableisten, um im Falle einer Festnahme nicht zusätzlich wegen Fahnenflucht juristisch belangt zu werden. Zudem wollten sie noch einige Vorbereitungen treffen. Als Hilfsmittel für die Flucht beschafften sie sich zwei Faltboote des Typs Kolibri, die für jeweils zwei Personen ausgelegt waren, dazu vier Paddel, zwei Spritzdecken und Gummibälle, um das Sinken der Boote zu verhindern. Taucheranzüge sollten sie vor Kälte und Nässe schützen, jedoch konnten nur Dirk und ein weiteres Mitglied der Gruppe diese käuflich erwerben. Thorsten bekam stattdessen einen Wetteranzug geliehen und der vierte Freund besorgte sich einen gebrauchten Motorradanzug. Zwei Kompasse befanden sich bereits im Repertoire von Dirk Glienke, dem einzig Geübten im Umgang mit Booten. Die anderen Drei hatten keine wesentliche Vorerfahrung im Paddeln und Navigieren. Eine Probefahrt hielten die jungen Männer dennoch nicht für notwendig, lediglich den Aufbau der Boote probten sie mehrfach in der Wohnung von Thorsten Schallau.

Als Fluchttermin wurde schließlich Mittwoch, der 9. November 1988, vereinbart. Sie vermuteten, an einem Wochentag weniger Aufsehen zu erregen als am Wochenende. Einen geeigneten Ort für die Ablandung hatte die Gruppe bereits Wochen zuvor in Heiligendamm ausgekundschaftet. Die ausgewählte Stelle lag in einem Wald am westlichen Rand des mecklenburgischen Küstenortes, nur 20 m vom Wasser entfernt. Der Reiseplan sah vor, dass Dirk, Thorsten und einer der anderen mit der Bahn fuhren. Als Gepäck hatten sie Reisetaschen mit den Taucheranzügen und ihren persönlichen Unterlagen dabei, die sie in Plastiktüten verpackt hatten. Der Vierte im Bunde transportierte mit dem Wartburg seines Bruders die beiden Faltboote an die Küste. Gegen 17 Uhr trafen sie in Heiligendamm ein und begaben sich sogleich zu der Stelle, die für die Ablandung vorgesehen war. Allerdings hielten sich hier inzwischen Grenzposten auf und so beschloss die Gruppe, ihr Fluchtvorhaben nicht mehr an diesem Tag umzusetzen. Zwei von ihnen versteckten die Boote, danach aßen sie gemeinsam in einer Gaststätte an der Strandpromenade.

Im Haus Max Planck buchten die Freunde anschließend zwei Zimmer für eine Nacht. Wie sich herausstellte gab es direkt neben dem Hotel eine mit Büschen bewachsene Stelle, die sie für günstig befanden und als Ausweichmöglichkeit für eine Ablandung auswählten. Am nächsten Morgen, dem 10. November, buchten sie aus der Notwendigkeit heraus, ihr Gepäck weiterhin unterstellen zu können, die beiden Hotelzimmer für eine weitere Nacht. Tagsüber erkundeten sie nochmals geeignete Ablandestellen in der Gegend um Boltenhagen herum, entschieden jedoch, in Heiligendamm zu bleiben. Gegen 17 Uhr begannen sie dann mit den Vorbereitungen. Inzwischen war der Bruder des einen eingetroffen, um sein Auto abzuholen. Zwei aus der Gruppe holten die Boote aus dem Versteck, die anderen Zwei beobachteten die Stelle neben dem Hotel, da sie hier einige Stunden zuvor ebenfalls Grenzsoldaten gesichtet hatten. In dem Gebüsch bauten sie dann die Boote auf und gingen danach ins Hotelzimmer, um sich umzuziehen. Gegen 22 Uhr waren alle Vorbereitungen abgeschlossen.

Als der Scheinwerfer der Grenztruppen, der alle 20 Minuten für ca. zwei Minuten eingeschaltet wurde, erlosch, sprangen sie auf und trugen die Boote ins Wasser. Dirk und Thorsten gingen als eine Besatzung voran, die anderen beiden folgten im zweiten Boot. Bereits nach kurzer Zeit verloren sie aufgrund der Dunkelheit jeglichen Kontakt zueinander. Der Besatzung des zweiten Bootes war zudem kurz nach dem Start der Kompass verloren gegangen. Ohne Orientierung paddelten sie weiter und versuchten, sich an den Lichtern der Strandbeleuchtung und der Strömung zu orientieren. Nach vielen Stunden auf dem offenen, unruhigen Meer, das inzwischen hohe Wellen schlug, entdeckten sie einen Leuchtturm und steuerten diesen in der Hoffnung, er müsse vom Gebiet der Bundesrepublik aus seine Signale senden, an. Erschöpft erreichten beide das Festland, liefen landeinwärts und trafen nach kurzer Zeit auf Grenzsoldaten der DDR. Ihre Festnahme erfolgte am 11. November 1988 gegen sechs Uhr morgens in Kühlungsborn, nur wenige Kilometer westlich von Heiligendamm.

Die Suchmaßnahmen nach dem anderen Boot und dessen Insassen, die kurz darauf von der 6. Grenzbrigade Küste eingeleitet worden waren und bis zum Abend andauerten, blieben ohne Erfolg. Am 14. November wurde das stark beschädigte Faltboot von Dirk und Thorsten am Strand von Graal-Müritz von einem Zivilisten entdeckt. Darin befand sich die Jeans und der Personalausweis von Dirk Glienke. Seine Leiche, bekleidet mit Neoprenanzug und Turnschuhen, wurde am Tag darauf am Strand von Rerik aufgefunden. Als Todesursache wurde im Totenschein Ertrinken vermerkt. In der Leichenhalle des Friedhofs Rostock musste sein Freund und Mitflüchtling den Leichnam identifizieren, bevor er aus der Untersuchungshaft in Rostock nach Berlin gebracht wurde. Die Trauerfeier für Dirk fand zwei Wochen später in Berlin statt.

Thorsten Schallau gilt bis heute als vermisst, seine Leiche wurde nie gefunden. Die beiden Freunde, die überlebt hatten, wurden im Februar 1989 zu 25 Monaten Freiheitsentzug verurteilt.


Biografie von Dirk Glienke, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/343-dirk-glienke/, Letzter Zugriff: 29.03.2024