Logo

Suche im Biographischem Handbuch

Biografisches Handbuch

Erich Sperschneider

geboren am 2. Januar 1923 in Forschengereuth | verblutet nach Schussverletzung am 25. Februar 1951 | Ort des Vorfalls: bayerisch-thüringische Grenze, nahe Meilschnitz (Bayern)
Am 24. Februar 1951 war der 28-jährige thüringische Grenzanwohner Erich Sperschneider auf dem Rückweg von einem Besuch bei den Großeltern im bayerischen Nachbarort, als ihn der Schuss eines DDR-Grenzpolizisten traf. Er starb am nächsten Tag im Krankenhaus Sonneberg.

Erich Sperschneider wuchs in Mengersgereuth in Thüringen auf und erlernte nach dem Besuch der Volksschule den Beruf eines Feinmechanikers. Er trat am 1. September 1941 der NSDAP-Ortsgruppe Mengersgereuth bei und diente dann in der Wehrmacht als Fallschirmjäger. Bei Kriegsende geriet er für kurze Zeit in amerikanische Gefangenschaft, konnte aber schon im Juni 1945 wieder nach Hause zurückkehren. Er arbeitete zunächst in einer Schmuckwerkstatt. Nachdem sein alter Betrieb, der nun VEB Feinmechanik Sonneberg hieß, die Produktion wiederaufgenommen hatte, kehrte er an seine frühere Arbeitsstätte zurück. Nach seiner Heirat im Jahr 1947 wohnte er im Haus seiner Schwiegereltern. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.

In der Region fehlte es bis Mitte der 1950er Jahre an Lebensmitteln und anderen Waren des täglichen Bedarfs. Viele dort lebende Menschen versuchten deshalb, an westdeutsche Produkte zu kommen. Sie überquerten bei Dunkelheit die sogenannte grüne Grenze, um sich jenseits der Demarkationslinie Lebensmittel bzw. Konsumgüter zu besorgen. Dabei halfen ihnen meist westdeutsche Verwandte oder Bekannte. Im Gegenzug brachten die Grenzgänger DDR-Produkte (hauptsächlich Spielzeug) in die Bundesrepublik, um an die „harte Währung“ DM zu kommen. Bis 1951 war dieser„Grenzverkehr“ gang und gäbe. Nachdem sich der Tod Erich Sperschneiders herumgesprochen hatte, ging er in dieser Grenzgegend drastisch zurück.

Die Grenze war, wie sich Sperschneiders Bruder Mylius erinnerte, zu diesem Zeitpunkt weder markiert noch durch einen Zaun gesichert, den Grenzverlauf konnte man nur anhand des Kontrollweges der Grenzpolizisten erkennen. Sperschneiders Elternhaus lag ca. zwei Kilometer von der Grenze entfernt. Über freie Felder bzw. durch Waldstücke gelangte man direkt zum bayerischen Meilschnitz. Dort wohnten Sperschneiders Großeltern, die die beiden Brüder häufig besuchten. Insbesondere Erich ging häufig über die Grenze. Er galt als gutmütig und hilfsbereit. So besorgte er für das örtliche Krankenhaus westliche Arzneimittel und führte immer wieder Grenzgänge für ein bloßes Dankeschön aus. Mylius und Erich Sperschneider gerieten einmal in eine Kontrolle durch westdeutsche Polizisten, die sie aber nach Aufnahme ihrer Personalien wieder freiließen. DDR-Grenzpolizisten gaben bis dahin in der Gegend vereinzelt Warnschüsse ab, um Grenzgänger zu stellen. Deshalb waren diese zwar sehr aufmerksam, sahen aber in ihrem privaten „Interzonenhandel“ kein größeres Risiko.

Am Abend des 24. Februar 1951 bat Mylius Sperschneider seinen Bruder Erich, ihm von „drüben“ Apfelsinen für seine kranke einjährige Tochter mitzubringen. Erich brach gegen 18.30 Uhr zu seinen Großeltern auf und wurde bereits zwei Stunden später zurückerwartet. Doch gegen Mitternacht erhielt seine Familie die telefonische Nachricht, Erich liege angeschossen im Sonneberger Krankenhaus. Sein Bruder und die Eltern fuhren mit dem Auto des Nachbarn sofort dorthin. Nach der Erinnerung von Mylius Sperschneider wachte sein Bruder Erich gegen 4 Uhr aus der Narkose auf und schilderte, geschwächt durch den Blutverlust und die Amputation seines linken Unterschenkels, mit stockender Stimme den Vorfall. Demnach befand er sich zusammen mit zwei Männern und einer Frau auf dem Heimweg, als Grenzpolizisten sie aufforderten stehenzubleiben. Obwohl er der Aufforderung Folge leistete, fiel plötzlich ein Schuss, der ihn in beide Beine traf. Er habe zuvor keinen Warnschuss gehört. Das Geschoss durchschlug Sperschneiders rechte Wade und zerfetzte sein linkes Fußgelenk. Einer seiner Begleiter band die Verletzung notdürftig ab. Erst nach zwei Stunden transportierte die Grenzpolizei den Verletzten in einem offenen Geländewagen ab. Um Sperschneiders Leben zu retten, amputierten ihm die Ärzte im Sonneberger Krankenhaus sein linkes Bein unterhalb des Knies. Er erlag dennoch am folgenden Tag seinen Verletzungen.

Leitung und Belegschaft der Firma, für die er tätig gewesen war, veröffentlichten am 1. März 1951 folgende Traueranzeige: „Plötzlich und unerwartet wurde unser Arbeitskollege, der Feinmechaniker Erich Sperschneider, im Alter von 28 Jahren aus unserer Mitte gerissen. Wir verlieren in ihm einen fleißigen, aufrichtigen und hilfsbereiten Arbeitskollegen und werden sein Andenken stets in Ehren halten.“ Doch diese ehrende Erinnerung passte den örtlichen SED-Funktionären nicht. Mylius Sperschneider erinnert sich, dass SED-Funktionäre in einer Betriebsversammlung seinen Bruder als „Großschieber“ beschimpften und behaupteten, in seiner Wohnung hätte die Volkspolizei größere Mengen Margarine und andere Schmuggelware sichergestellt. Mylius Sperschneider bestreitet das, er kann sich auch nicht daran erinnern, dass es überhaupt jemals eine Hausdurchsuchung bei seinem Bruder gab.

Bei dem letzten Gespräch mit seinen Angehörigen im Krankenhaus Sonneberg nannte Erich Sperschneider den Vornamen eines Grenzpolizisten, den er für den Schützen hielt. Dieser Grenzpolizist mit Vornamen Herbert entfernte sich nach der Schussabgabe rasch. Als Sperschneiders Witwe die Aufklärung des Falls und die Bestrafung des Schützen forderte, drohte ihr der Staatssicherheitsdienst an, sie aus dem Grenzgebiet auszuweisen. Sperschneiders Söhne bemühten sich Anfang der 1990er Jahre vergeblich um eine gerichtliche Rehabilitierung und Entschädigung für den Tod ihres Vaters. Die Ermittler konnten freilich den Täter zweifelsfrei identifizieren. Es handelte sich um den ehemaligen DDR-Grenzpolizisten Hans Gottschalk. Da er 1992 verstarb, kam es zu keiner Anklageerhebung. Erich Sperschneiders Bruder Mylius errichtete nach dem Ende des SED-Regimes am Ort des Zwischenfalls auf dem Grenzstreifen ein Holzkreuz für seinen Bruder. Seit dem Jahr 2002 erinnert an dieser Stelle ein von Erich Sperschneiders Freund Otto Müller gestifteter Gedenkstein an den Todesfall. Auch in der Thüringisch-Fränkischen Begegnungsstätte in Neustadt bei Coburg informiert eine Tafel über das Schicksal Erich Sperschneiders.


Biografie von Erich Sperschneider, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/29-erich-sperschneider/, Letzter Zugriff: 25.04.2024