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Biografisches Handbuch

Heinz-Rudolf Köcher

geboren am 23. Juli 1929 in Zeulenroda | erschossen am 26. Oktober 1971 | Ort des Vorfalls: bei Zollgrün, Ortsteil der Stadt Tanna (Thüringen)
Auf dem Weg zur thüringisch-bayerischen Grenze wurde der geistig verwirrte Heinz-Rudolf Köcher am 26. Oktober 1971 von dem Abschnittsbevollmächtigten des Dorfes Zollgrün erschossen.

Der 42-jährige Heinz-Rudolf Köcher wurde seit dem 17. Oktober 1971 in der Abteilung für Psychiatrie und Neurologie des Bezirkskrankenhauses Stadtroda vermisst. Bereits mit 33 Jahren wurde er aufgrund seiner nervlichen Verfassung für arbeitsunfähig erklärt und bekam Invalidenrente. Eifersuchts- und Zornausbrüche kehrten immer wieder, periodisch musste er in Kliniken eingewiesen werden. Seiner Frau schwärmte er vom Westen vor, da wäre alles anders, ganze Tage könnte er dort arbeiten. Zweimal hatte er bereits versucht, an der DDR-Grenzübergangsstelle Hirschberg durchgelassen zu werden, natürlich vergeblich.

Am 26. Oktober 1971 sahen ihn Genossenschaftsbauern und der Abschnittsbevollmächtigte (ABV) aus Zollgrün, wie er über ein Stoppelfeld lief. Er war seit neun Tagen unterwegs. In dieser Zeit hatte er etwa 55 Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Falls er einen Umweg über Zeulenroda gemacht hatte, wo seine Familie in einer Vorstadtsiedlung wohnte, war die Strecke noch länger. Von Zollgrün aus waren es bis zur thüringischbayerischen Grenze noch etwa 15 Kilometer.

Der ABV war durch eine Fahndungsmeldung alarmiert. Ein Angehöriger der Marine, so wurde ihm mitgeteilt, wolle schwer bewaffnet die Grenze durchbrechen. Es galt zu verhindern, dass er ins Sperrgebiet eindringt. War der Mann auf dem Stoppelfeld der gesuchte Deserteur? Der ABV rief den Fremden an. Der schaute sich erschrocken um und begann zu laufen, um den nahe gelegenen schützenden Wald zu erreichen. Der ABV rief nochmals und wollte ihn einholen, doch wie sollte er dies aus einer Entfernung von etwa 200 Metern schaffen? Zwei Genossenschaftsbauern hatten Motorräder dabei, doch das Stoppelfeld war ein unwegsames Gelände, und sie versuchten, den Flüchtenden auf einem Feldweg abzufangen. Es ist gut möglich, dass Heinz-Rudolf Köcher im Motorradlärm nicht hörte, wie der ABV drei Warnschüsse abfeuerte. Dann folgte ein gezielter Schuss in die Beine, wie der ABV später aussagte. Er sah, dass der Mann stürzte, doch als er und die Genossenschaftsbauern ihn erreichten, lag vor ihnen kein verletzter Marinesoldat, sondern ein unbewaffneter Psychiatriepatient, der von einem Rückenschuss in die Schlagader getroffen, vergeblich mit dem Tod rang.

Bereits kurz nach der Tat nahm die Morduntersuchungskommission Gera ihre Arbeit auf. Während der Ermittlungen ließ sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigen. Der beschuldigte ABV konnte zudem glaubhaft versichern, Heinz-Rudolf Köcher nicht absichtlich erschossen zu haben. Auch die Staatsanwaltschaft Erfurt kam 1993 zu keinem anderen Ergebnis. Von maßgeblicher Bedeutung für die Einstellung der Ermittlungen war, dass der Beschuldigte aufgrund der Personenbeschreibung Heinz-Rudolf Köcher für den zur Fahndung ausgeschriebenen Marinesoldaten halten konnte und die Schusswaffenanwendung wegen der Bewaffnung des Gesuchten gerechtfertigt war.


Biografie von Heinz-Rudolf Köcher, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/185-heinz-rudolf-koecher/, Letzter Zugriff: 28.03.2024