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Biografisches Handbuch

Hans Zabel

geboren am 10. Juli 1949 in Hagenow | vermutlich ertrunken in der Nacht vom 11. zum 12. August 1969 | Ort des Vorfalls: Schaalsee, nahe Zarrentin (Mecklenburg-Vorpommern)
BildunterschriftHans Zabel
BildquelleUniversitätsarchiv Rostock, Studentenakte
Quelle: Universitätsarchiv Rostock, Studentenakte
Bei dem gemeinsamen Fluchtversuch mit seinem Freund Henry Z. über den Schaalsee ist Hans Zabel wahrscheinlich ertrunken.

Hans Zabel wurde am 10. Juli 1949 im mecklenburgischen Hagenow geboren. Während des Besuchs der Erweiterten Oberschule (EOS) in Boizenburg lernte er Henry Z. kennen, der auch aus der Gegend stammte. Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft. Auch nach dem Schulabschluss blieben sie in Verbindung. Hans Zabel hätte gerne ein Studium im Fachgebiet Hochfrequenztechnik aufgenommen, das ihm verwehrt blieb. Er immatrikulierte sich deswegen für den Studiengang Physik an der Wilhelm-Pieck-Universität in Rostock. Im Frühjahr 1969 ließ er sich jedoch exmatrikulieren und nahm im VEB Fliesenwerke Boizenburg eine Stelle als Hilfsarbeiter an. Spätere Vermutungen brachten den Studienabbruch mit seinen Fluchtabsichten in einen Zusammenhang. Henry Z. studierte an der Technischen Hochschule Magdeburg Chemieanlagenbau. Dort bedrängten ihn Mitarbeitern des MfS, Spitzeldienste an der Universität zu übernehmen. Henry Z. ließ sich jedoch nicht darauf ein und lehnte eine MfS-Mitarbeit ab. Der Anwerbungsversuch bestärkte ihn vielmehr in seinem Entschluss, die DDR zu verlassen. Später in den Semesterferien besprach er das mit seinem Freund Hans Zabel, der ähnliche Gedanken hegte.

Die beiden 20-Jährigen begannen nun konkrete Fluchtpläne zu schmieden und dachten dabei an einen gemeinsamen Freund, dem ein Jahr zuvor die Flucht aus der DDR geglückt war. Für einen möglichen Fluchtweg über den Schaalsee errechneten sie eine Entfernung von drei Kilometer, die sie in etwa zweieinhalb Stunden schwimmend zurücklegen müssten. Die beiden besprachen auch einen alternativen Weg entlang des Ufers, falls Boote der Grenztruppen im Schaalsee patrouillieren würden. An erster Stelle stand jedoch für beide der Plan, die Flucht durch den See gemeinsam zu wagen. Am 11. August 1969 sollte es losgehen. An diesem Montagmorgen beendete Hans Zabel um 6 Uhr seine Nachtschicht im Fliesenwerk in Boizenburg. Später fuhr er zu seinem Freund, der sich in den Semesterferien bei seiner Mutter in Zarrentin aufhielt. Von dort war es nicht mehr weit bis zum See. In der Gegend um den Schaalsee herum war es noch recht warm, das Thermometer zeigte 22 °C an. Das Wasser des Schaalsees war nicht zu kühl, um eine längere Strecke schwimmend zurücklegen zu können. Gegen 22 Uhr erreichten die beiden Freunde das südliche Ufer des Sees. Als sie ins Wasser stiegen, machten sie ein Ziel am gegenüberliegenden westdeutschen Ufer aus. In einer Entfernung von etwa 20 Metern schwammen sie über den See. Sie hatten bereits mehr als zwei Drittel der Wegstrecke zurückgelegt, als Hans Zabel seinem Freund signalisierte, er wolle an einem früheren Punkt als vereinbart zum Land schwimmen. Henry Z. hielt das für zu gefährlich, da er nicht sicher war, ob sich dort bereits das Bundesgebiet befand. Er rief Hans Zabel seine Bedenken zu und schwamm zunächst weiter. Als er sich kurze Zeit später nach seinem Freund umblickte, konnte er ihn in der Finsternis nicht mehr sehen. Henry Z. schwamm ein Stück zurück und rief, trotz des Risikos, von Grenzposten entdeckt zu werden, nach seinem Freund. Doch Hans Zabel antwortete ihm nicht. Völlig erschöpft erreichte er nun allein das westdeutsche Ufer des Schaalsees. Dort wartete er im Schilf auf seinen Freund an der vereinbarten Stelle. Nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens verließ er frierend sein Versteck im Schilf und lief in westliche Richtung. Gegen 2.30 Uhr erreichte er die Dienststelle des Zolls in Hollenbek. Dort berichtete er aufgelöst von der gemeinsamen Flucht und dem verschwundenen Freund. In diesem Moment ging beim Zoll eine Funknachricht über einen Schuss und Motorengeräusche ein, die an jener Stelle erfolgt sein sollten, wo Hans Zabel vielleicht das Ufer noch auf DDR-Gebiet erreicht haben könnte. Die von Zollbeamten eingeleitete Suche am westdeutschen Ufer verlief ergebnislos. Henry Z. hoffte inständig, dass sein Freund noch lebte und DDR-Grenzsoldaten ihn festgenommen hätten.

Am 18. August 1969 meldete Zabels Vater seinen Sohn bei der Volkspolizei in Schwerin als vermisst. Bereits seit dem 13. August 1969 lagen dem Schweriner MfS Informationen über die „Republikflucht“ von Henry Z. und Hans Zabel vor. Man konnte jedoch im Kontrollstreifen am Schaalsee ihre Spuren nicht mehr finden, da eine ausgebrochene Kuhherde dort den Boden auf einer Länge von etwa zwei Kilometer zertrampelt hatte. Das Kreisgericht Hagenow erließ am 12. September 1969 wegen Durchbruchs der Staatsgrenze gegen Hans Zabel einen Haftbefehl. Henry Z. durchlief währenddessen die Notaufnahmelager in Lübeck und Gießen und zog dann zu Verwandten nach West-Berlin. Im Oktober 1969 meldete er sich zum ersten Mal bei seinen Eltern in der DDR und schrieb ihnen einen Brief. Seinen vermissten Freund erwähnte er darin nicht, da er annahm, ihre Post würde kontrolliert. Auf das Drängen der besorgten Eltern seines Freundes schrieb Henry Z. schließlich dem Vater und berichtete von der gemeinsamen Flucht über den Schaalsee und wie er Hans Zabel aus den Augen verloren hatte. Daraufhin stellte Zabels Vater alle erdenklichen Nachforschungen an. Die zuständigen DDR-Ämter teilten ihm jedoch lediglich mit, dass für die fragliche Zeit keine Informationen über einen Grenzvorfall unter Beteiligung seines Sohnes vorlägen. Der Vater korrespondierte nun über Deckadressen weiterhin mit Henry Z. in der Bundesrepublik, um weitere Anhaltspunkte über den Verbleib seines Sohnes zu erhalten. Aber sowohl Nachfragen im Krankenhaus in Boizenburg als auch beim Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen blieben erfolglos. Nun hofften die verzweifelten Eltern, ihr Sohn sei möglicherweise an einem geheimen Ort in Haft. Die Sicherheitsbehörden der DDR nahmen hingegen zunächst noch immer an, Hans Zabel sei die Flucht geglückt. Erst im November 1972 stellten sie das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren ein und hoben den Haftbefehl auf, da sie von einem Scheitern des Fluchtversuchs im Schaalsee ausgingen.

Auch die Ermittlungen der Zentrale Erfassungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) brachten in den 1990er Jahren keine weiteren Erkenntnisse über das Schicksal Hans Zabels. Eine Anwendung von Schusswaffen für den Fluchtzeitpunkt ist weder im Meldungsaufkommen der Grenztruppen noch in den Überlieferungen des DDR-Staatssicherheitsdienstes verzeichnet. Die damals von Zabels Vater erstattete Vermisstenanzeige bei der Polizei in Hagenow lag nicht mehr vor, sie fand sich auch nicht in der zentralen Vermisstendatei der DDR. Die Volkspolizei meldete 1972 Hans Zabel als in die Bundesrepublik Deutschland verzogen ab. Da er das Notaufnahmeverfahren dort nicht durchlaufen hatte und sich nirgendwo eine Spur von ihm fand, schloss die ZERV ihre Ermittlungen im April 1995 mit dem Ergebnis ab, dass Hans Zabel bei seinem Fluchtversuch im Schaalsee ertrunken ist.


Biografie von Hans Zabel, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/170-hans-zabel/, Letzter Zugriff: 24.04.2024