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Biografisches Handbuch

Manfred Glotz

geboren am 25. Januar 1942 in Penzig (heute Piensk, Polen) | erschossen am 7. Mai 1965 | Ort des Vorfalls: etwa 200 Meter südlich der Straße zwischen Rothesütte (Thüringen) und Hohegeiß (Niedersachsen)
BildunterschriftManfred Glotz
BildquellePrivat, Renate Glotz
Quelle: Privat, Renate Glotz
Am 4. Mai 1965 hatte der 23-jährige Arbeiter die Grenzzäune bei Benneckenstein im Harz bereits überwunden, als er von der MPi-Salve eines Grenzsoldaten tödlich verletzt wurde.

Frau Glotz war vor den Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges mit ihren vier Kindern aus Niederschlesien nach Pödelist (Sachsen-Anhalt) geflohen. Ihr Ehemann, der Maschinist Paul Glotz, kehrte nicht aus dem Krieg zurück. Um Geld zu verdienen und den Kindern ein warmes Essen zu verschaffen, wusch sie bei den Bauern des Dorfes die Wäsche. Als ihr Sohn Manfred in der Schule ein auffälliges Verhalten zeigte, wurde er nach Naumburg in ein Kinderheim geschickt, wo er zwei Jahre die Hilfsschule besuchte. Später überwies man ihn in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Uchtspringe. Er galt als geheilt, als er mit 18 Jahren entlassen wurde und zur Mutter nach Pödelist zurückkehren konnte. Im Ort war der junge Mann beliebt, da er gern half, doch einer geregelten Beschäftigung nachzugehen fiel ihm schwer. Nie hielt er es der ungelernte Arbeiter länger in einem Betrieb aus – und sobald die Probleme überhandnahmen, zögerten die Betriebe auch nicht, ihm zu kündigen. Schließlich begann er als Rohrleger unter Tage im VEB Kaliwerk Roßleben zu arbeiten.

Am 7. April 1965 hatte sich der 23-Jährige für ein gestohlenes Fahrrad vor dem Kreisgericht Naumburg zu verantworten. Da gegen ihn bereits eine Bewährungsstrafe verhängt war, verurteilte ihn das Gericht zu einer siebenmonatigen Haftstrafe, die er vorerst noch nicht antreten musste. Am Morgen des 30. April 1965, nach der Nachtschicht im Kaliwerk, verabschiedete sich ein Kumpel von ihm, der im selben Wohnheim untergebracht war, mit den Worten, sie würden sich so bald nicht mehr wiedersehen. Udo Sch. wollte in die Bundesrepublik flüchten. Von morgens bis abends schwer arbeiten und trotzdem nie genug Geld haben – das musste anderswo besser sein. Manfred Glotz erklärte sich sofort bereit mitzumachen. Bald danach brachen sie gemeinsam in Richtung Niedersachsen auf. Udo Sch. hatte bei der Grenzpolizei im Harz gedient, doch als sie, mal zu Fuß, mal per Anhalter, die gut 75 Kilometer bewältigt hatten, fand er seinen alten Grenzabschnitt nicht wieder. Sie verirrten sich und gelangten in das waldige Gebiet südlich der ehemaligen Straße von Rothesütte (Thüringen) nach Hohegeiß (Niedersachsen). Hier gab es eine Möglichkeit, sich vor den Grenzsoldaten zu verbergen. Am 4. Mai, kurz vor 14 Uhr, wagten sie den Durchbruch. Sie hatten den doppelten Metallzaun bereits überwunden, als sie von zwei Posten eines etwa 150 Meter entfernten Beobachtungsturmes bemerkt wurden. Die Grenzer begannen, gezielt auf die Flüchtenden zu schießen.

Zwei bundesdeutsche Zollbeamte waren Zeugen des Fluchtversuchs. Sie beobachteten, wie ein Mann nur 30 Meter vor der Demarkationslinie mit einem Bauchschuss zusammenbrach und wie ein zweiter versuchte, ihn vergeblich in Deckung zu ziehen. Dann wurde auch er am Arm getroffen. Eine Alarmgruppe der Grenztruppen eilte hinzu und begann ebenfalls, auf die Flüchtlinge zu schießen. Mehrere Geschosse schlugen auf bundesdeutschem Gebiet ein. Daraufhin luden die Zollbeamten ihre Waffen durch und gaben Warnschüsse ab. Kriechend schaffte es der am rechten Ellenbogen verletzte Udo Sch., die Bundesrepublik zu erreichen. Manfred Glotz blieb am Doppelzaun liegen, schrie vor Schmerzen, rief um Hilfe.

Eine unverzügliche ärztliche Behandlung wäre zwingend notwendig gewesen, doch weil der Grenzzwischenfall vor den Augen von Zeugen auf der Westseite erfolgte, zündeten die DDR-Grenzsoldaten Nebelkerzen, um eine Sichtbehinderung zu schaffen, bevor sie Manfred Glotz bargen. Darüber verging mehr als eine halbe Stunde, in der auf der anderen Seite der Grenzzäune weitere Beamte des Zollgrenzdienstes und etwa 50 Zivilpersonen hinzukamen. Schließlich wurde der Schwerverletzte ins Krankenhaus Ilfeld gebracht. Noch drei Tage dauerte seine Leidenszeit, dann starb Manfred Glotz. Der Bauchschuss hatte ihm Leber und Magen zerrissen.

In den 1990er Jahren ermittelte die Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin gegen die Besatzung des Beobachtungsturmes. Doch die Beweisführung erwies sich als unmöglich. Es konnte nicht festgestellt werden, ob ein Tötungsvorsatz bestand und wer von den beiden Soldaten auf dem Beobachtungsturm die tödliche MPi-Salve auf Manfred Glotz abgegeben hatte. Das Ermittlungsergebnis reichte zur Erhebung einer öffentlichen Klage wegen Totschlags nicht aus, weswegen das Verfahren 1998 eingestellt wurde.


Biografie von Manfred Glotz, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/136-manfred-glotz/, Letzter Zugriff: 28.03.2024