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Biografisches Handbuch

Karl Wurmser

geboren am 2. November 1945 in Eger (heute: Cheb, Tschechien) | ertrunken am 29. Juni 1966, aus der Elbe geborgen am 4. Juli 1966 | Ort des Vorfalls: Elbe bei Dömitz (Mecklenburg-Vorpommern)
BildunterschriftKarl Wurmser
BildquelleBStU
Quelle: BStU
Am 29. Juni 1966, gegen 0.30 Uhr vernahm die Besatzung eines Patrouillenbootes der NVA-Grenztruppen Dömitz bei Elb-Kilometer 506 Hilferufe einer männlichen Person, die sich bereits in der Nähe des westdeutschen Ufers befand. Die Suche nach dem Hilferufenden verlief aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse ergebnislos. Am 4. Juli 1966 wurde bei Baggerarbeiten am westlichen Elbufer eine männliche Leiche entdeckt, die von Angehörigen am 6. Juli 1966 als Karl Wurmser identifiziert werden konnte.

Als jüngstes von fünf Kindern wurde Karl Wurmser in Eger (heute: Cheb, Tschechien) geboren. Die Familie wurde infolge der Beneš-Dekrete 1945 vertrieben und fand in Dömitz, Kreis Ludwigslust, ihre neue Heimat. In den Jahren von 1952 bis 1960 besuchte Karl Wurmser die Schule. Zu seinen zwei Brüdern, die in Westdeutschland lebten, pflegte er keinen Kontakt. Sein dritter Bruder hatte den Heimatort bereits verlassen und seine Schwester lebte verheiratet in Dömitz.

Eine Lehre beim VEB Bau Ludwigslust brach er nach zehn Monaten ab und fasste gleichzeitig den Entschluss, die DDR zu verlassen. Nach Aufhebung des Lehrverhältnisses im Jahre 1961 fuhr er mit dem Zug nach Berlin. Während einer Kontrolle in Staaken gestand er, die DDR verlassen zu wollen. Daraufhin wurde Karl Wurmser zu sechs Monaten Jugendgefängnis verurteilt, die er in Luckau, Niederlausitz, verbringen musste. Nach seiner Entlassung arbeitete er bei der Bau-Union Schwerin und wohnte bei seinen Eltern in Dömitz. Für diesen Zeitraum dokumentierte das MfS in seinen Unterlagen die angebliche Zugehörigkeit Wurmsers zu einer „Bande“ namens Kreuzspinne. Hieran knüpfte sich der Verdacht des MfS, Karl Wurmser gehöre einer Schleusergruppe an und bereite seine eigene Flucht aus der DDR vor. Um diese Vorhaben zu verhindern, sollten die MfS-Informanten GM „Dieter Gille“ und GI „Peter Schmidt“ mit dem Verdächtigen in Kontakt treten. Die verdeckten Ermittlungen gegen Karl Wurmser wurden im November 1965 eingestellt, da keine durchgeführten Schleusungen nachgewiesen werden konnten und die „persönliche Vorbereitung zur Republikflucht über ein gewisses Stadium der Vorbereitung nicht hinausging“. Offenbar hatten die MfS-Mitarbeiter in Dömitz etwas verspätet das Jugendkommuniqué des SED-Politbüros gelesen, das unter der Überschrift „Der Jugend Vertrauen und Verantwortung“ ein Ende von „Gängelei, Zeigefingerheben und Administrieren“ gegenüber der DDR-Jugend versprach.

Am Abend des 28. Juni 1966 besuchte der 20-Jährige den Kegelclub im Elb-Café Dömitz, um einem seiner Hobbys nachzugehen. Am späteren Abend begab er sich mit einigen Freunden ins Kulturhaus zu einem dort stattfindenden Kompanieball. Nach dem feuchtfröhlichen Abend traf Karl Wurmser gegen Mitternacht zu Hause ein und wechselte seine Kleidung. Seinem Vater versprach er noch, gleich wiederzukommen, bevor er eilig das Haus verließ.

Am 29. Juni 1966, gegen 1.05 Uhr, vernahm die Besatzung des Patrouillenbootes der NVA-Grenztruppen Dömitz G-825 bei Elbkilometer 505,5 Hilferufe einer männlichen Person, die sich bereits in der Nähe des westdeutschen Ufers befand. Das Dienstboot nahe der Autobahnbrücke Dömitz legte sofort ab und fuhr bei schlechter Sicht in Richtung der Rufe. Bei Elbkilometer 506 entdeckte die Besatzung im Leuchtkegel des Bootsscheinwerfers einen Mann, der in der Elbe schwamm. Als das Boot den offenbar völlig erschöpften Schwimmer erreichte, konnte dieser den in seine Richtung geworfenen Rettungsring nicht mehr fassen und versank. Die weitere Suche verlief wegen der schlechten Sichtverhältnisse ergebnislos. In Dömitz erzählte man sich danach, die Bootsbesatzung habe den Flüchtling absichtlich ertrinken lassen. Der damalige Bootsführer Joachim K. flüchtete selbst im Dezember 1971 in die Bundesrepublik und sagte zu dem Todesfall gegenüber Ermittlern der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter aus, die Bootsbesatzung habe den Untergegangenen nicht mehr gesehen und wegen des starken Wellengangs und der Dunkelheit die Suche abgebrochen.

Eine Woche später, am 4. Juli 1966, fand man bei Baggerarbeiten am westdeutschen Ufer bei Elbkilometer 513 nahe Landsatz eine nur mit Turnhose, Hemd und Socken bekleidete männliche Wasserleiche. Eine bei dem Toten aufgefundene Streichholzschachtel aus der DDR ließ die Arbeiter vermuten, dass es sich um einen Flüchtling handelte. Die Stadtverwaltung des niedersächsischen Ortes Dannenberg teilte dem Bürgermeister von Dömitz den Leichenfund mit, da man vermutete, es handele sich um einen Mann aus Dömitz. Zur Identifizierung des vermissten Karl Wurmser überführte man seine Leiche am 6. Juli 1966 zum Grenzübergang Lauenburg-Horst. Auf der DDR-Seite bestätigten sein Vater und seine Schwester in Begleitung eines Staatsanwaltes und eines Volkspolizisten die Identität des Toten. Wurmsers Mantel fand man später in der Elde, die in Dömitz in die Elbe fließt. Vermutlich hatte er ihn fortgeworfen, bevor er in die Elbe stieg. Karl Wurmser war ein gut ausgebildeter Rettungsschwimmer. Für seine Angehörigen blieben die Todesumstände daher rätselhaft. Sie bezweifelten stark, dass er ohne Fremdeinwirkung ertrank.


Biografie von Karl Wurmser, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/148-karl-wurmser/, Letzter Zugriff: 18.04.2024